Diese Methode ist noch relativ neu, sie stammt soweit ich gelesen habe aus den 2000ern und unterscheidet sich von klassischen Abstimmungsverfahren. Ich persönlich finde diese Methode der Entscheidungsfindung super und will im Folgenden mal versuchen, sie euch anschaulich an einem Beispiel zu beschreiben.
Stellen wir uns einmal die folgende Situation vor: Eine Gruppe politischer Aktivisten von vier Personen diskutiert darüber, was sie als nächste gemeinsame Aktion zusammen durchführen will. Dabei stehen die folgenden Vorschläge zur Auswahl:
- Durchführung einer Podiumsdiskussion
- Verteilung von Flugblättern
- Durchführung einer Sitzblockade
- Durchführung einer Kundgebung
Mit einem derartigen Ergebnis würde man sich natürlich für die Sitzblockade entscheiden, für die in diesem Fall eine einfache Mehrheit von 50 % abgestimmt hat. Nun stellen wir uns aber folgendes Problem vor: Person A und D sind absolut gegen eine Sitzblockade, da sie unter keinen Umständen mit der Polizei in Konflikt kommen wollen. Für sie, also in dem Fall für die Hälfte der Gruppe, stellt dieses Abstimmungsergebnis und die darauf basierende Entscheidung die schlechteste Option dar. Ihr Abstimmungsverhalten hatte zudem nicht den geringsten Einfluss auf die Entscheidung. Als Folge davon könnte z. B. Unmut bei A und D auftreten, Streit und Spannung in der Gruppe oder es könnte eine Sitzblockade geben, an der nur die Hälfte der Gruppe teilnimmt. Ganz einfach, weil die eigentlich demokratisch gemeinte Abstimmung zu einem Ergebnis geführt hat, was bei einem bedeutenden Teil der Gruppe auf klare Ablehnung stößt.
Systemisches Konsensieren versucht, derartige Probleme zu vermeiden, indem es seinen Hauptfokus bei der Entscheidungsfindung nicht auf der von den meisten Mitgliedern einer Gruppe favorisierten Lösung legt, sondern vielmehr auf die Lösung, der der geringste Widerstand entgegengebracht wird.
Die Abstimmung läuft daher nicht über die Zustimmung zu einer der Entscheidungsoptionen, sondern über die Vergabe von sogenannten Widerstandspunkten für alle Entscheidungsoptionen auf einer Skala zwischen 0 und 10. Dabei bedeuten 0 Widerstandspunkte, dass man einer Option gar keinen Widerstand entgegenbringt (d. h. vollkommen einverstanden mit ihr ist) und 10 Widerstandspunkte den höchstmöglichen Widerstand (d. h. die höchstmögliche Ablehnung) gegenüber einer Option. Die Zahlen dazwischen werden als entsprechende Abstufungen zwischen diesen beiden Extremen vergeben. Stellen wir uns nun ein Abstimmungsergebnis unserer Aktivistengruppe vor, das mittels systemischem Konsentieren erreicht wurde:
Person A favorisiert die Podiumsdiskussion und hat dort keine Widerstandspunkte angegeben, während sie die Sitzblockade am stärksten ablehnt und demzufolge dort die meisten Widerstandspunkte verteilt hat. Die Personen B und C favorisieren die Sitzblockade und geben dort die wenigsten Widerstandspunkte an. Person D favorisiert wiederum die Flugblätter, versieht sie mit den wenigsten Widerstandspunkten und lehnt die Sitzblockade strikt ab, woraus die höchsten vergebenen Widerstandspunkte resultieren. Die anderen von den Beteiligten vergebenen Widerstandspunkte liegen dazwischen.
Beim systemischen Konsentieren würde man sich jetzt für die Option mit den wenigsten Widerstandspunkten entscheiden. In unserem Beispiel wäre das die Kundgebung, die zwar von keinem Mitglied der Aktivistengruppe favorisiert wird, aber von allen Mitgliedern gut mitgetragen wird, wie man an der geringen Gesamtzahl der Widerstandspunkte sehen kann. Obwohl in der klassischen Abstimmung niemand für die Kundgebung gestimmt hat, wäre sie in unserem Beispiel beim systemischen Konsentieren die Entscheidung der Wahl, weil sie die meiste Zustimmung in der Gruppe als Ganzes hat.
Hier nochmal einige Vorteile vom systemischen Konsentieren:
- Leicht verständlich und auch in großen Gruppen oder mit elektronischen Hilfsmitteln anwendbar.
- Es können mehrere Entscheidungsoptionen miteinander verglichen werden.
- Die Stimmen aller werden immer gleichberichtigt einbezogen, unabhängig davon, welche Entscheidung am Ende herauskommt.
- Der Fokus auf Widerstand gegenüber Entscheidungen offenbart Konfliktpotentiale bei der Entscheidungsfindung, die man konstruktiv lösen kann.
- Mehrstufige Vorgehensweisen sind möglich, z. B. zur Priorisierung vor der eigentlichen Entscheidungsfindung. Gibt es zu viele Entscheidungsoptionen, um alle einzeln zu diskutieren, kann man z. B. in einem ersten Abstimmungsdurchgang diejenigen eliminieren, die eine vordefinierte Anzahl an Widerstandspunkten überschreiten, d. h. von zu vielen abgelehnt werden. Die verbliebenen Optionen können dann eingehender pro/kontra diskutiert werden, um sie abschließend nochmal final abstimmen zu lassen.
https://www.sk-prinzip.eu/
Zudem noch ein kurzes, knackiges Erklärvideo:
https://www.youtube.com/watch?v=A5As9tcy2dU
Die Entwickler dieses Verfahrens verdienen damit natürlich auch Geld, indem sie dazu Schulungen etc. anbieten und machen daher etwas Eigenwerbung, aber trotzdem halte ich systemisches Konsensieren für eine absolut sinnvolle und beachtenswerte Verfahrensweise für die demokratische Entscheidungsfindung und hoffe auf eine angeregte Diskussion hier in diesem Thread.