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Zur Frage: Ist die traditionelle Links-rechts-Unterscheidung überholt?

Verfasst: 07.05.2020, 10:17
von HCGuth
Vorbemerkung:
Je mehr die bürgerliche Politik Unterstützung verliert, desto mehr rücken ihre Anhänger, Medien und Repräsentanten, zusammen.
Das polemische Vokabular, das sie in diesem Zusammenschluss zur Bekämpfung ihrer Gegner benutzen, ist aber kein taktisches. Vielmehr versteht die bürgerlich-neoliberale Partei sich und die andern immer schon in diesen Begriffen. Deswegen wird dieses Vokabular auch in allen fortgeschrittenen Industriestaaten mit westlich-neoliberaler Orientierung von Befürwortern dieser Orientierung so verwendet.

Ich habe im alten aufstehen Forum mehrfach drauf hingewiesen, dass es im wesentlichen drei moderne Staatsprogramme gab (das sind Weisen, die bürgerliche "Staatsräson" näher zu bestimmen): Staatssozialismus, Sozialdemokratie, Neoliberalismus.
Der Neoliberalismus ist dabei zu sehen als eine bewusste Konsequenz "liberaler" Politiktheoretiker und Politiker aus der Einsicht, dass die ursprünglichen liberalen Institutionen, Markt und demokratischer Rechts- und Sozialstaat, für sich nicht ausreichen, um auf nationalstaatlicher Ebene den Herausforderungen eines sich herausbildenden Weltmarkts, im Innern wie im Äusseren, gerecht zu werden. Diese Erkenntnis ist Resultat des Jahrzehnts nach dem Ende des 1.Weltkriegs, in dem diverse politische Konzepte, vor allem wirtschaftspolitischer Art, übrigens auch in der jungen Sowjetunion, endgülktig ausgebildet wurden und ab da miteinander in Konkurrenz traten. Den drei bürgerlichen Staatsprogrammen gegenüber traten damals (und treten, heute eher als Randgruppe) faschistische, fundamentalistische und elitär-autoritäre (ständestaatliche, technokratische, meritokratisch-oligarchische) solche Programme, die die Institutionen der bürgerlichen Revolution zurückdrehen wollen in Richtung einer wesentlich von Klassen- und/oder nationalen, kulturellen, voraufgeklärt-ideologisch oder konstruiert-rassistisch begründeten Unterschieden geprägten (Welt)Ordnung (die kritischen Etiketten für solche Standpunkte lauten: klassistisch, nationalistisch, kulturalistisch, fundamentalistsich, rassistisch...).
Dazu ist festzustellen, dass unter Bedingungen moderner Industriegesellschaften eine starke Tendenz besteht, entgegen der proklamierten Programmatik, spätestens angesichts von schwer bewältigbaren Herausforderungen (wie zB einer mutmasslichen Pandemie), zum Zweck der Vereinfachung in solche vor-bürgerliche autoritäre Ordnungsvorstellungen zurückzufallen und das mit passenden klassistischen usw Ideologien zu begründen. Diese Tendenz zur Vereinfachung und Regression ist nicht etwa nur bei "Herrschenden" zu bemerken, als Vertretern eines herausgefordetren bürgerlichen Staatsprogramms, sondern auch bei dem Bevölkerungsteil, der diese Herrschenden als seine Repräsentanten ansieht und sich mit ihren Massnahmen einverstanden erklärt.


In allen Industriestaaten mit einer längeren Industrialisierungs- und Modernisierungsgeschichte (also ohne China, das ist in dieser Hinsicht vergleichsweise jung) zeigt sich nun eine vermeintlich neue,in Wahrheit traditionell-auflkärerische Strömung, die konsequent staatskritisch eingestellt ist, also ihre Vergesellschaftungs-Vorschläge nicht mehr unmittelbar mit den klassischen Mitteln der traditionell-bürgerlichen oder auch staatssozialistischen Konsensfindung, mit staatlicher Hoheitsausübung (Gesetze, Verordnungen usw), staatlichen Institutionen (Behörden) und flankierender "Öffentlichkeit" (mehr oder weniger gelenkt) durchgesetzt haben möchte. Genauer gesagt, möchte diese Strömung, dass garnichts mehr durchgesetzt wird und auf diese Weise gilt. Auf welche andre Weise, kann sie freilich auch nicht ohne weiteres sagen.
Diese politische Richtung heisst mit ihrem klassischen Namen LIBERTÄR.
(Dieser Strang im modern-aufgeklärten politischen Denken existiert seit über 250 Jahren, er begründete einen wichtigen Flügel, etwa den von Danton geführten der Jakobiner in der Frz.Revolution. Der zur gleichen Zeit sich vorbereitende (Staats)Sozialismus hat dann in den klassischen europäischen Nationen zur Zeit ihrer Industrialisierung diese Strömung fast vollkommen überrollt. Historisch bemerkenwerte Formen waren allenfalls die anarchistischen Flügel der Arbeiterbewegung (Proudhon, Blanqui, Bakunin usw), sowie anarchistische Parteien und Bewegungen in der jungen Sowjetunion (Kronstadt, Nestormachno) sowie die Anarchosyndikalisten im Spanischen Bürgerkrieg. Libertäres Denken ist hingegen stark in die politische Kultur der USA eingewoben. Der Staats-Skeptizismus vieler US Bürger (der sich im Vorfeld der reagan "Revolution" als - oft auch evangelikal gefärbtes - Misstrauen gegen New-Deal- und Big-Society- "Big Government" und Sozialversicherung richtete) war und ist stark von libertärem Denken geprägt, es gibt eine libertäre Partei, deren Präsidentschafts-Kandidat bei der letzten Wahl auf dritter Position lag. Aus Sicht der herrschenden neoliberalen Partei firmieren die Libertären als "Rechtspopulisten", Populisten, weil es sich dabei aus Sicht dieser staatspolitisch orientierten Einstellung nicht um ein "politik-fähiges" Konzept handelt, und rechts, wegen der (aus dieser Warte gesehen) Vernachlässigung des überindividuellen Gemeinwohls (und Überbetonung der Individualfreiheit). Weitere Details und zur ersten Orientierung: https://de.wikipedia.org/wiki/Libertarismus )

Anm.1 Eine Schwäche aus Sicht des globalistisch-neoliberalen ebenso wie des sozialistischen Solidaritäts-Internationalismus der libertären Richtung ist ihr notgedrungen stark ausgeprägter Regionalismus, der sie reaktionär undmehr oder weniger nationalistisch, wenn nicht archaisch-rückwärtsgewandt erscheinen lässt. Deswegen ua die Assoziation mit "Nazis", "rechts" usw.
Anm 2 Das ursprüngliche libertäre Denken war - wie viele, wenn auch nicht alle klassischen anthropologischen Theorien der Aufklärung (prototypisch: Kant), und auch nicht alle auf Dauer - aus heutiger Sicht extrempaternalistisch bis rassistisch und sexistisch eingestellt; bei Locke, dem ersten und wichtigsten Theoretiker dieser Richtung, finden sich Rechtfertigungen für Sklavenhaltung und vor allem kolonialistischen Landraub. Es sollte nicht verwundern, dass diese Einstellungen bei "rechten" libertären Gruppen und Einzelpersonen in den USA bis heute anzutreffen sind, und sich mit "rebellisch"-individualistischer Befürwortung von Privatgewalt, Anarchokapitalismus und eben Rassismus verbinden.
Anm 3 Der klassische Liberalismus kann als in "Politisierung" zurückgefallene (aus anderer Warte: als politisch gereifte) Version des ursprünglichen libertären Vergesellschaftungskonzepts verstanden werden. In dem Zusammenhang ist zu bemerken, dass Adam Smith einen starken (aber eben liberalen Rechts-)Staat forderte, um den anarchisch-anti-soziale, selbst-zerstörerische Tendenz von Märkten einen Rahmen zu verschaffen. Das istauch der Standpunkt derursprünglich neo- und später ordo-liberal genannten Ökonomen, die sich neben Figuren wie Hayek und von Mises in der Mont-Pelerin-Gesellschaft organisierten.)


Es ist nun wesentlich von diesem libertären Standpunkt aus, dass die "traditionelle" Links-Rechts-Unterscheidung überholt erscheint, weil sie sich nur an politischen also bürgerlichen Staatsprogrammen entlang definieren lässt. Tatsächlich gibt es auch in der libertären Strömung eine solche Unterscheidung, die aber angesichts der typischen Orientierung auf Toleranz und Stehenlassen von Gegensätzen, zumindest im voll ausgeprägten libertären Denken beider Lager (des rechts- wie links-libertären), nicht wesentlich in Erscheinung tritt. Man könnte das analoge Spektrum unter Libertären angesiedelt sehen zwischen den Polen Individual-Anarchismus (zb auch Anarcho-Kapitalismus) und libertärem (zwangfreiem) Kommunismus.
Gmeinsamer (und darum anti-staatlicher) Gesichtspunkt ist die Zwangfreiheit bezüglich jeder Vergesellschaftung (die Achtung des "Selbsteigentums" oder der "Selbstbestimmung" der Einzelnen; die Forderung, dass sie sich wechselseitig als solche "Selbsteigner" anerkennen sollen); ergänzend dazu befürworten die links-libertären Anarchisten freiwillige Zusammenschlüsse und Kooperationen,

Anm 4 Vom Standpunkt des neoliberalen Lagers aus wird jede Vereinigung aus den ihnen bereits bekannten "Linken" (Staatssozialisten und klassische Sozialdemokraten; aber auch "undogmatische" und eben libertäre) mit "Rechtspopulisten" (als solche firmieren die Libertären in der Regierungspropaganda) als "Querfront" bezeichnet.
"Querfront" ist also der Name der Neoliberalen für ein (tatsächlich eher unwahrscheinliches) Zusammengehen ALLER ihrer Gegner.


Es ist das (neo)liberale Denken selbst, das die Links-Rechts-Unterscheidung zur Selbsteinordnung benutzt; der liberale, demokratische Rechtsstaat bzw das in ihm umgesetzte Staatsprogramm ist, ihnen zufolge, ein immer neu auszubalancierender Kompromiss aus "Gleichheit" vs "Freiheit". Es ist jener Dualismus, der in der marxistischen Version die Form angenommen hat des Gegensatzes von Citoyen und Bourgeois. Der Gleichheits-Gesichtspunkt ist dabei nicht der einer Gleichverteilung des Eigentums - die würde sich schnell wieder, im Zuge all der vielen Konkurrenz-Zufälle in einer Markt-förmig organisierten Produktionsweise, verlieren. Sondern es ist die Gleichbehandlung, Nicht-Privilegierung von Einzelinteressen, wenn es darum geht, sie auf die Haltbarkeit und Stabilität zu beziehen der gesamten Interessenordnung (das Gemeinwohl; "das grösste Glück der grössten Zahl"), wie sie sich aus den Wechselfällen der "freiheitlichen" Konkurrenz der Bürger immer wieder neu ergibt. Dabei sollen aber die vielen Einzel- und Gruppen-Interessen nie über das für die Stabilität ihres Gesamtbestands nötige Mass hinaus behindert, beschränkt, beeinträchtigt werden. Das ist dann der "Freiheits"-Gesichtspunkt. Im rechten Denken sehen (Neo)Liberale grundsätzlich eine Festschreibung von Gruppeninteressen, und seien es auch solche von Mehrheiten, im linken die unangemessene Ausdehnung der Gemeinwohl-Orientierung, die aus ihrer Sicht ebenfalls nur eine Bevormundung bzw einseitig interessengeleitete Privilegierung von Eigentümergruppen und deren Gruppeninteresse darstellen kann. Die Berufung beider politischer Gegenkonzepte auf ein qualitativ anders zu definierendes Gemeinwohl als Legitimationsgrundlage erkennen (Neo)Liberale nicht an.
(Bei Sozialdemokraten ist es vor allem die Annahme, dass der Markt nur begrenzt selbst-regulierend und gleichgewichts-orientiert funktioniert, stattdessen, sich selbst überlassen, in massive Fehlallokation von Ressourcen führt, sodass der Staat im Sinne des Gemeinwohls eingreifen muss.
Staatssozialisten (Marxisten-Leninisten) erklären dies für eine dauerhafte, letztlich in krisenhaften Zusammenbruch des gesamten arbeitsteiligen Wirtschaftens mündende Tendenz des Marktsystems, das daher mehr oder weniger komplett der staatlichen Beaufsichtigung und PLanung unterworfen werden muss.)

Die genauere Stellung von Sozialdemokratie, Staatssozialismus, klassischem Liberalismus und Standpunkten in der Art der neueren Antifa, "Antideutscher", SocialJusticeWarriors und "Idenitätspolitiken" (nicht zu verwechseln mit den rechten "Identitären") könnten ebenfalls in einem erweiterten Mentalitäten-Tableau beschrieben werden, ebenso die Standpunkte von (Neo)Faschisten, Elitenfaschisten, Rechtspopulisten, autoritär-konservativen, Fundamentalisten usw Das führt aber im Augenblick zu weit.

Die politik-fähigen (im Ggs zu den libertären) Vergesellschaftungskonzepte haben Ausprägungen, die das Niveau von moderner liberaler Rechts-Staatlichkeit (auf dem sich die "Staatsprogramme" bewegen) teils nicht erreichen (wie zB das ältere Konzept des absoluten und des Ständestaats), teils es überbieten durch Ableitung einer je aktuellen Definition von Gemeinwohl aus übergeordneten Normen (soziale Gerechtigkeit, zivilgesellschaftliche Verständigung ua).
Diese Stufen können zugleich als Reifungsgrade des politisierten Denkens angesehen werden, indem dabei immer weiter reichende Zeit- und Problem-Horizonte in den Blick genommen werden. Auch das libertäre Denken weist solche Stufen auf. Auf den entsprechenden Stufen gibt es breite Übergangszonen, in denen Personen oder homogenen Gruppen das Verhältnis von politischer Gewalt und Zwanglosigkeit je für sich justieren.
So wenig staatskritische, aber eben auch eigentums-kritische, also kollektivistisch orientierte Linksradikale heute noch allesamt heimliche Stalinisten sind, so wenig sind die eigentlichen Libertären und "Rechtspopulisten" Faschisten und Nazis. Die Dimension der relativen Staatsferne wird von politisierten Personen und Gruppen einfach nicht wahrgenommen, sie "projizieren" die jeweils rechts- und links-libertären Inhalte auf ihr "politisiertes" Pendant zurück, so als wäre anders eine Realisierung des jeweiligen Wertesystems nicht zu denken.
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Vier Anmerkungen noch (alles nur angedeutet, nicht ausgeführt).
1. Es handelt sich bei allen erwähnten Standpunkten um Vergesellschaftungskonzepte. Die bilden aber nur den einen Tiel der Einstellungen von Personen oder homogenen Gruppen, der andere ist das Weltverhältnis (Art des Umgangs mit Wissen, Unwissen, Risiko, Wissenserwerb), das mit dem Vergesellschaftungskonzept zusammenarbeitet; zu denken wäre etwa an "Alltagsdenken"*), Religiosität, Modernität. Die Zusammenstellungen von Weltverhältnissen mit Vergesellschaftungskonzepten sind nicht beliebig; fortgechrittenere Vergesellschaftungskonzepte können nur gedacht werden im Rahmen entsprechend fortgeschrittener Weltverhältnisse. (Das ist das subjektive Pendant des Dualismus von "Stand der Produktivkräfte" und "Produktionsverhältnis"). Die zunehmend libertäre Orientierung vieler Personen in modernen Industriegesellschaften hat somit etwas mit Reifungsschritten im Bildungsprozess ihres Weltverhältnisses zu tun (Hypothese, nicht ausgeführt).
Kompliziert wird dieser Sachverhalt noch durch die Tatsache, dass die historischen Reifungsschritte in Weltverhältnissen und zugehörigen Vergeselslchaftungskonzepten "rückfall-gefährdet" sind. Da es sich um Differenzierungsschritte handelt, die zur Einengung von Handlungsmöglichkeiten führen, bedeutet das Rückfällig-Werden Ent-Differenzierung. Fortgeschrittenere Inhalte können somit in einer ihnen eigentlich unangemessenen Praxis-Form umgesetzt werden; das ganze gebilde weist innere Widersprüche auf.

2. Mentalitäten, also Kombinationen aus Weltverhältnis und Vergeselslchaftungskonzept bei Personen oder homogenen Gruppen, müssen sinnvoll mit den von ihnen, auch im Zusammmenwirken von Trägern verschiedener Mentalitäten, sich ergebenden Verläufen ihrer kollektiven Kooperation (Produktionsweise; gesellschaftlich-arbeitsteilige Reproduktionsweise), speziel lder Art ihrer Konsensfindung= Konfliktlösung; Koordination; beides zusammen: Produktionsverhältnis) zusammenwirken. Wenn Mentalitäten und Produktionsweise sich zunehmend auseinanderentwickeln, ist meist eine Epochengrenze erreicht. Genau das ist heute der Fall.

3. Die "Links/Rechts"-Klassifizierung, die die "Staatlichkeits- bzw Libertaritäts-"-Dimension nicht berücksichtigt, hat als Bezugspunkt normalerweise ein "herrschendes" Politikparadigma, in dem Fall den Neoliberalismus, wobei in der Entwicklung überbotene oder "überholte" Politik-Programme, sofern sie weiter vertreten werden, als rechts, und "anspruchsvollere", aus Sicht des herrschenden Staatsprogramms nicht realisierbare ("utopisch-emanzipatorische") Programme als links bezeichnet werden. Besonders das Feld der "Linken" ist weit auseinandergezogen und vereint heute unter diesem Titel Standpunkte, die völlig unvereinbar miteinander sind.

4. Die hier vertretene Begrifflichkeit bzw Auffassung berührt sich natürlich mit vielen, nicht zuletzt der Selbstsicht der beschriebenen Mentalitäten. Die Systematik ist aber eine, die speziell ich so aufzustellen vorschlage; sie wird so derzeit meines Wissens von niemand sonst vertreten.

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*) das weitest-verbreitete Weltverhältnis ist das am wenigsten begriffene. Ich habe viele Jahre lang darüber nachgedacht und hier einen Versuch gemacht: https://selbstbestimmung-als-aufgabe.de ... alplanung/ . Die von mir "politisiert" genannten Vergesellschaftungskonzepte mit ihren Reifungsschritten...
Gewalt, Krieg, Unterwerfung;
Ehre/Respekt, Anerkennung, Vertrags/Eigentum/Klasse, Ständestaat;
liberal-demokratischer Sozial- und Rechtsstaat:Gleichheit vs Freiheit, Interesse und Interessenordnung (Kant: Reich der Zwecke; Hegel: System der Bedürfnisse);
Norm-Regulierung (Sittlichkeit/Anstand, Moral), normativ verständigte Zivilgesellschaft;
empathie-vermittlungs-orientierte Stellung zum "Anderen")
...sind die diesem Denken (und allen Rückfällen von fortgeschrittenen Inhalten in es, als praktischem verwirklichungsrahmen) angemessenen.

Re: Zur Frage: Ist die traditionelle Links-rechts-Unterscheidung obsolet?

Verfasst: 12.05.2020, 01:54
von willi uebelherr
Lieber Hans ([mention]HCGuth[/mention]), noch verstehe ich deine Intention fuer diesen text noch nicht. Du nimmst dich selbst heraus und tust so, als waerst du nur Beobachter.

"Bei Sozialdemokraten ist es vor allem die Annahme, dass der Markt nur begrenzt selbst-regulierend und gleichgewichts-orientiert funktioniert, stattdessen, sich selbst überlassen, in massive Fehlallokation von Ressourcen führt, sodass der Staat im Sinne des Gemeinwohls iengreifen muss.
Staatssozialisten (Marxisten-Leninisten) erklären dies für eine dauerhafte, letztlich in krisenhaften Zusammenbruch des gesamten arbeitsteiligen Wirtschaftens mündende Tendenz des Marktsystems, das daher mehr oder weniger komplett der staatlichen Beaufsichtigung und PLanung unterworfen werden muss."

Das ist ja fuer mich das gleiche. Zumindest sehe ich den unterschied nicht.

"Die politik-fähigen (im Ggs zu den libertären) Vergesellschaftungskonzepte haben Ausprägungen, die das Niveau von moderner liberaler Rechts-Staatlichkeit (auf dem sich die "Staatsprogramme" bewegen) teils nicht erreichen (wie zB das ältere Konzept des absoluten und des Ständestaats), teils es überbieten durch Ableitung einer je aktuellen Definition von Gemeinwohl aus übergeordneten Normen (soziale Gerechtigkeit, zivilgesellschaftliche Verständigung ua)."

Hier kommt nun dein eigener standpunkt zum vorschein, dass fuer dich "libertaere Vergesellschaftungskonzepte" nicht politik-faehig sind. Vielleicht bist du zu stark auf den US-gezuechteten Libertarismus fixiert und uebersiehst dabei seine allgemeine grundlage, wie sie als Reaktion auf den autoritaeren und staats-orientierten Feudalismus entstand, um noch etwas zu retten, was nicht zu retten war. Die libertaeren Ideen entstanden aus dem Grossbuergertum, weil nur sie Zeit und Ressourcen zur verfuegung hatten, um sich mit solchen Fragen zu beschaeftigen. In diesem Umfeld entstanden dann auch die "sozial-demokratischen" Konzepte. Aber auch die "jungen Wilden" wie Goethe, Brueder Humboldt und Heine. Und selbst Schiller war im Netz.

aus aktuellem anlass: nochmal die links/rechts(extrem, radikal) unterscheidung

Verfasst: 02.08.2020, 11:10
von HCGuth
der anlass ergibt sich im s.a.r.c. chat bei telegram. dorthin würde folgender text passend:

man könnte die chance nutzen, dass zwei wörter existieren, und ihnen eine bedeutung GEBEN - genau jene, die wenn ich mich recht entsinne, jürgen vorgesehen hatte für den fall, dass radikal und extrem(istisch) verbunden wird mit "volksherrschaft": radikal wäre das allgemeine, und würde bedeuten, dass das jeweils vertretene prinzip konsequent, umfassend, und kompromisslos in der praktizierten vergesellschaftung (kooperation) umgesetzt wird. extrem(istisch) hingegen, mit welchem ausmass an gewalttätigkeit, ungeduld, unduldsamkeit gegen (noch bestehende) widerstände die betreffenden werte in einer situation, in der sie noch nicht eingeführt sind, also noch "utopie" sind, durchgesetzt werden sollen.
die skala egalitär- anti-egalitär bekommt eine zweite dimension zugeordnet in gestalt des ausmasses, in dem dabei dauerhaft, auch in der utopie, von herrschaft, mitteln staatlicher hoheit gebrauch gemacht werden soll, oder aber die vorstellung zumindest bezüglich des erwünschten, utopischen vergesellschaftszustandes besteht, dass alle kooperation zwangfrei, freiwillig eingegangen und gestaltet wird, und das ist die dimension etatistisch (anti-libertär; bisweilen auch autoritär genannt)-libertär.

im allgemeinen ist die rekonstruktion dessen, was "rechte" für vorstellungen von in-egalität haben, nicht sehr ausgeprägt.
auf jeden fall gehört zu rechten ideen die vorstellung einer WESENTLICHEN, kooperation limitierenden ungleichheit zwischen menschengruppen (oder gar einzelnen); und die vorstellung, dass diese ungleichheit nicht behebbar ist, also quasi so "angeboren" wie das, was egalitär denkende für das allen menschen gemeinsame halten (personalität, zurechnungsfähigkeit, vernunft... und was darin enthalten sein soll). rechte können solche allen menschen/personen als solchen gemeinsamen merkmale durchaus zugeben, nur sehen sie die einzelperson, anders als egalitär denkende, als dadurch und ihren variablen (durch lernen mit andern abgleichbaren) erfahrungsbestand nicht hinreichend bestimmt: die NOTWENDIG einzelpersonen und gruppen zusätzlich auszeichnenden, unabänderlichen merkmals-dimensionen sind demnach anthropologische konstanten - sie kommen ihnen als PERSONEN zu (setze hier rassismen aller art ein: auch begabungs-, kulturalistische solche usw).

ERGÄNZUNG 1

man spricht hier gern vom linekn oder rechten "menschenbild". korrekt sollte es aber besser heissen: von verschiedenen definitionen oder bestimmungen der KATEGORIE PERSON(ALITÄT). die egalitäre version unterstellt, um gedacht werden zu können, die gleichheit der allen menschen, als personen...
(soweit sie die eigenschaft, "mündige" (zurechnungsfähige) person zu sein, voll ausgebildet, als erwachsene in ihrer kultur, aufweisen und nicht durch physische beeinträchtigung vorübergehend oder dauerhaft, teilweise oder ganz eingebüsst haben)
...gemeinsamen LERNREGEL (besser: lern-disposition) oder regel des erschliessens von (versuchs)handlungsentwürfen für sich und andre, aus gegebnen erfahrungsständen. das einzige, das personen dort dann in relevanter weise trennt, sind die erfahrungsstände, über die sie verfügen, die aber IM PRINZIP, angesichts der als gemeinsam zu unterstellenden lernregel, abgleichbar sein müssten.
((alle andern besonderheiten der einzelperson werden als demgegenüber unerheblich, schlimmstenfalls vorübergehende oder dauerhafte beschränkungen der universellen lernregel namens vernunft angesehen. vgl hierzu den anfang des discours de la methode von descartes, der diesen gedanken zum ersten mal explizit vorträgt und insofern als gründungs-dokument der aufklärung angesehen werden kann.))
aus dieser maximal-definition von egalität aller menschen als personen folgt, dass "rechte" ebenso universelle EINSCHRÄNKUNGEN der universellen lernregel kennen, die aber NICHT als behinderung, sondern hinzunehmende eigentümlichkeit der angeborenen menschennatur (biologismus!) zu verstehen sein sollen. in dieser behapteten GRUNDSÄTZLICHEN beschränkung der universellen lern-disposition von personen (bzw einschränkung des egalitären prinzips, dass ALLE wesentlichen differenzen auf solche des (erfahrungs)wissens zurückzuführen sind) liegt dann auch die allen anderen konsequenzen daraus zugrundeliegende rechte RASSISTISCHE ABWERTUNG von person und personalität, beim einzelnen, gruppen, oder überhaupt allen ("können nicht anders, als...").
anm. inwiefern man in idealisierungen und zuschreibungen "gesteigerter" personalität ebenfalls rassismen entdecken kann, kann hier offen bleiben. (genau diese steigerbarkeit von "vernunft" (bon sens; urteilsfähigkeit) hatte seinerzeit descartes grundsätzlich bestritten.))

die debatte über diese unterschiedlichen verständnisse der kategorie person ist auch in der bürgerlichen wissenschaft und philosophie nicht ansatzweise ausgetragen, weshalb alle egalitären positionen auch nur als platt-autoritärer moralismus, unvermittelt geforderte und alles andre legitimierende handlungsmaxime vorgetragen werden können - statt - mit welchen angemessenen mitteln auch immer - abgeleitet zu werden. (umgekehrt können rechte nie wirklich inhaltlich kritisiert werden, weil die einsicht in den kategorialen mangel ihrer position fehlt.)
die unfassbaren unklarheiten in der bestimmung des person-begriffs machen sich bemerkbar als unauflösliche kontroversen in der derzeitigen bürgerlichen PHILOSOPHY OF MIND. von einlassungen anderer fächer der bürgerlichen wissenschaft ganz zu schweigen (bis hin zu leider äusserst unvollkommenen versuchen aufseiten immerhin materialistisch ansetzender theoretiker wie klaus holzkamp ("grundlegung der psychologie", im gefolge von leontjew ua)...)

ERGÄNZUNG 2
Infolge der mörderischen (eigentlich: typisch religiös-idealistischen) Unbestimmtheit der Kategorie Person sind auch die daran anknüpfenden weiteren Kategorien einer THEORETISCHEN ANTHROPOLOGIE komplett unbestimmt und zT grob empirisch, zT begrifflich verworren als Grundbegriffe einschlägiger Fächer eingeführt: Sprache, Handlung, psychologische Zustände (Dispositionen usw), Kooperation, Gesellschaft/Kultur, Geschichte, Epoche, Mentalität uvam Die Arbeit an diesen Kstegorien und ihren faktisch in Vergangenheit und Gegenwart vorfindlichen Realisierungen wird uU eine ganze Epoche in Anspruch nehmen - es ist genau die historisch nächst anstehende, für jeden weiteren Fortschritt unerlässliche und zugleich in der hinter uns liegenden Epoche, der Moderne, unerledigt liegengebliebene Aufgabe. (Der Versuch eines Nachweises, wonach der Person-Begriff selbst noch der materialistischen Moderne notwendig unbestimmt bleibt, und zwar weil die für Personen typischen (genuinen) BEDÜRFNISSE (besser: Dispositionen, "Antriebe") darin nicht in Betracht gezogen werden, wird in diesem meinem Blog hier (in den Texten mit fortlaufender Numerierung) unternommen.)

Eine Andeutung, wie die theoretische Ableitung einer korrekten nämlich materialistischen Bestimmung der Kategorie Person(alität) aussehen muss, habe ich hier gegeben: https://selbstbestimmung-als-aufgabe.de ... ersicht-3/
In diesem Zusammenhang möchte ich meinem Erstaunen Ausdruck geben, dass Materialisten in ihrer theoretischen Grundlegung politischer Theorie und Philosophie nichts besseres wissen, als auf die idealistische Transzendentalphilosophie eines Kant (oder noch ganz anderer Idealisten, wie Hegel) zurückzugreifen. Die Bemühungen vonseiten echt materialistisch ansetzender Theoretiker wie des späten Wittgenstein (der zurecht in etlichen neueren Anthologien "sozialistischer/kommunistischer/anarchistischer Klassiker" aufgeführt wird) sind den meisten Radikal-Linken und Linkslibertären nichtmal ansatzweise bekannt...

Re: Zur Frage: Ist die traditionelle Links-rechts-Unterscheidung überholt?

Verfasst: 02.08.2020, 19:58
von scilla
rechte Denker glauben, daß es Niveauunterschiede bei den Menschen gibt
und daß den im höheren Niveau verweilenden Menschen die Macht zufallen sollte

diese Menschen haben als Adelige oder Männer oder Bürger mehr Stimmrecht
als das niedere Volk

linke Denker glauben, daß alle Menschen gleich geboren werden müssen
und daß dem Volk die Macht zufallen sollte

das Parlament wird von einer Einheitspartei geleitet,
weil nur so die Interessen des ganzen Volkes vertreten werden können

sowohl rechte als auch linke Denker glauben,
daß es zur Durchsetzung der eigenen Ziele pseudomiltärischer Aktivisten bedarf

diese Aktivisten übernehmen nach kurzer Zeit das Szepter
und deshalb verwandeln sich rechte wie linke Staaten in Militärdiktaturen

Nochmals neu angesetzt: Darstellung links/rechts im Chat bzw Forum der Freien Linken

Verfasst: 28.01.2021, 16:16
von HCGuth
Darf ich kurz was sagen zu "links/rechts"? Es gibt da etwas Neues, das ins Auge fällt, weil es viele Menschen betrifft, aber nicht ins gewohnte Ordnungssystem passt Dieses gewohnte Begriffs-System ist um den STAAT und den Gebrauch der Staatsmacht herum gebaut - und die Orientierung darauf kann so sein, dass man dieser Staats-Organisation die eigenen Ziele vorgeben möchte (die dafür eingesetzt sehen möchte, und das auch für angemessen hält): Klassische Staatsprogramme waren das liberale, das staatssozialistische (ML), die bürgerlich-reformistische Sozialdemokratie, und seit 40 Jahren der Neoliberalismus. Über den Begriff des bürgerlichen Staats sollte man sich unter Linken mehr Klarheit verschaffen; bis heute gibt es keinen Konsens darüber, ob dieser Staat blosser Überbau (Derivat,"abhängige Variable") der Konkurrenz und Klassen-Gesellschaft ist, oder ob sich da in den letzten 150 Jahren etwas getan hat, das über "bewaffnete Eigentümer, deren geschäftsführender Ausschuss" und dergleichen (wie es bei Holger oben anklang) hinausgeht. Ich sage: Der bürgerliche Staat hat sehr viele Errungenschaften ausbilden müssen, um die Anforderungen der Klassengesellschaft und des kapSsystems an ihn zu erfüllen, aber das ist ihm auch gelungen. Er ist massgeblicher Teil der Basis der modern-kapitalistischen, oder wie ich lieber sagen wrüde, der modern-bürgerlichen Produktionsweise geworden.
Aber nicht nur die klassischen, auch klassisch "linken" Staatsprogramme orientieren sich auf den Staat, auch alle "kämpferischen, revolutionären" Projekte, die auf eine Überbietung der Staats-Organisation als höchstes Vergesellschaftungs-Prinzip setzen, tun das. Also alle die auf ein Lenken der (dann) verbliebenen Staatsreste durch eine vor- oder besser über-staatlich verständigte ZIVILGESELLSCHAFT (da kann man auch einsetzen: Produzentenorganisation) hinauswollen. Die Regeln der Verständigung werden sonst auch NORMEN, Werte, Grundüberzeugungen genannt (der Ausdruck stammt aus theoretischen Betrachtungen Antonio Gramscis, wonach die Bourgeoisie mit ihren Werten und Lebensformen die zivilgesellschaftliche Organisation der Lohnabhängigen, weit jenseits noch aller Fabrikdespotie, Produktionszusammenhänge, politischen Zwänge und Illusionen beherrscht - so dass die Lohnabängigen unter dieser kulturellen Hegemonie sich an bürgerlichen Normen und Überzeugungen orientieren - weil es garkeine anderen gibt. Diese vor- oderüber-staatliche Zivilgesellschaft könnte ein Kandidat sein für den nächsten Schritt in der Erweiterung der Basis der modern-bürgerlichen Produktionsweise; ich glaube, dass die Gruppe, die die Zeitschrift Der Aufstand herausgibt, Ansätze in diese Richtung entwickelt.
(Bürgerlich nenne ixh Produktionsverhältnisse unter modernen Bedingungen, in denen die Produzenten sich "der Gesellschaft", den Andern, gegenübersehen, und die "gesellschaftlich"-arbeitsteilig betriebene gemeinsame Reproduktion und deren Fortschritt nicht als je ihres ansehen, sondern als MITTEL und entscheidende Existenzbedingung zwar, aber eben immer noch für etwas von ihnen selbst, als ihre Sache, Betriebenes. Ich behaupte, ohne es zu zeieen, dass dieser Standpunkt notwendig zugunsten des nach-bürgerlichen, echt kollektivistischen verschwindet, wie sich die Produzenten Wissen, Wissenschaft und Wissenserwerb als ihren eigentlichen Lebensinhalt betrachten (zumindest die Teilhabe daran), und in DEM Sinn die gesellschaftlich notwendige (aber eben auch interessante) Arbeit nicht mehr nur MIttel für sie ist, sondern Zweck. "Bürgerlich" ist dabei keine moralisch abqualifizierende Bezeichnung,sondern soll einfach einen durch Bildungsgang und Lebensschicksale unvermeidlich zustandegekommenen Zwischenstand von jemandes Überzeugungen und überhaupt Verhältnis zu Welt, Produktion, Gesellschaft benennen.)

Man kann dann wieder, grob und vereinfachend, rechte Staatsprogramme als Regression, Rückschritt, Rückfall in vorliberale, vor-rechtsstaatliche und vor-demokratische Staatsformen ansehen, also als Wieder-Etablierung eines Klassen- oder, soweit die Zuweisung zu Klassen durch Herrschafts- und Gewaltakte erfolgt, eines Ständestaats. Das zugehörige Prinzip heisst, ganz allgemein: elitär. Es geht da um eine Selbst-Abgrenzung von Gruppen, die durch ein nicht-universalisierbares, fast immer auch für angeboren, biologisch fundiert erklärtes Merkmal vergemeinschaftet sein sollen; diese Vergemeinschaftung ist ausgrenzend, hierarchie-bildend, konkurrenz-orientiert, Das eigentlich staatliche Programm einer haltbaren Ordnung von (durchaus klassenmässig fixierten) Interessen bzw deren Trägern hingegen ist im Prinzip egalitär, und insofern inklusiv, ja sogar universalistisch; im Prinzip sind da nationale Ausschlüsse vor allem wirksam unter Gesichtspunkten der Überforderung von Staaten und ihren Ordnungen durch Überdehnng, sowohl in der Fläche als auch der Bevölkerungszahl.
Egalitäre Wertesysteme und Programme gelten ihren Vertretern als universell LEGITIMIERT. Als politische Subjekte knüpfen sie daran die unvermittelte Forderung, dass sich jeder den legitim begründeten Pflicht-Zuweisungen zu fügen hat. Für die Legitimation fordern sie wiederum autoritär Anerkennung, auch ohne Einsicht; und dieses Nichberücksichtigen der (womöglich verständlichen) Uneinsichtigkeit von Adressaten ist der Rest gewaltsamer Durchsetzungsbereitschaft, der auch die über-staatlichen, also programmatisch zur zivilgesellchaftlichen Organisation fortgeschrittenen Vergesellschaftsungskonzepte (Programme) auszeichnet. Speziell gilt das für Leute, die mit Gewalt Aufmerksamkeit für die von ihnen vertretenen Gründe und Gesichtspunkte in der Bestimmung von Legitimität, oder auch einfach Einschätzungen, erzwingen wollen. Sie sind egalitär, und zugleich autoritär. ((In dieser Richtung sind auch noch die ernsthaften Vertreter von sog Identitäts-Politiken zu verorten. Das wäre aber genauer darzustellen. Auch deren Nähe zum klassisch-liberalen Denken.))
Die Bewegung, von der ich eingangs gesprochen habe, die derzeit "säkular", übergreifend, andauernd, massenhaft zu beobachten ist, und das in allen fortgeschrittenen, wenigstens westlichen Industriestaaten, ist nun eine QUER zu den genannten Standpunkten, nämlich in Richtung nicht-autoritärer Umgangsformen und Vergesellschaftungsvorstellngen.
Das schwer zu begreifende ist, dass im höchsten Masse nicht-egalitär orientierte Standpunkte dies nicht-autoritäre Moment aufweisen können; sie waren sogar die ersten überhaupt, die der ganzen Richtung den Namen vorgeben: LIBERTÄR.
Verwirrend ist, was nicht leicht zugegeben wird, dass dieser Zug zum Libertären im abstrakten Sinn, verstanden als nicht-autoritäre Vergesellschaftung, von ALLEN traditionell vertretenen "autoritären" Standpunkten aus möglich ist, und sich noch dazu eine breite Übergangszone zeigt, mit abnehmend autoritärer und zunehmend libertärer Orientierung.
Autoritäre und libertäre Standpunkte haben charakteristische, aber unterschiedliche Mängel: Die autoritären Standpunkte lassen ihre Träger in wichtigen Angelegenheiten immer auf Gewalt (selbstverständlich immer "legitimer") zurückgreifen, wenn ihre Forderungen, Appelle, begründgen bei den Adressaten nich tverfangen; Libertäre hingegen ziehen sich zurück (wenn sie nicht angegriffen werden), wollen also nichts durchsetzen. Da verschafft ihnen natürlich einen entscheidenden Nachteil in politischen Auseinandersetzungen mit grundsätzlich autoritären Gegenspielern (deren Vergesellschaftungskonzept per se aus libertärer Sicht ein EINZIGER Angriff ist: Der einzige und Ur-Gewaltakt der Libertären wäre also die Zertrümmerung der Machtmittel von autoritär Eingestellten, und das Wachen darüber, dass sie keine mehr bekommen (man darf von da aus gern an betsimmte klassische Jefferson-Sprüche denken, aber ebenso auch an anarchistische Befreiungsschläge...).
Libertäre und "politisierte" Vergesellschaften könnten in einer zivilgesellschaftlichen Organisation eine gemeinsame Plattform finden, von der aus vor-staatlich ein Konsens erarbeitet wird, der sich in einem von diesem überlegen organisierten Bevölkerungsteil eingerichteten radikaldemokratischen Staatswesen mitTrägern weniger ausgereifter Vergesellschaftungsvorstellungen vorläufig in ein Verhältnis setzt.
Ich merke an, dass ALLE die genannten Vergesellschaftungskonzepte, autoritäre wie libertäre, in einem genauer zu erklärenden Sinn idealistisch genannt werden müssen; die Anforderungen der Modernität ihrer Produktion sind in diesen Konzepten immer nur gezwungenermassen berücksichtigt, das moderne Weltverhältnis mit Wissen, Wissenserwerb und Wissenschaf als zentraler Produktivkraft ist nicht das "eigene" der Träger solcher Konzepte. Daher ihre bürgerliche Stellung zu ihrer kulturell modern ausgerichteten geselslchaftlich-arbeitsteiligen Produktion.

Forts. Hindernisse auf dem Weg zu einer politischen Neu-Organisation

Verfasst: 29.01.2021, 11:39
von HCGuth
Es gibt einen fundamentalen Unterschied der gegenwärtigen historischen Zerrüttung, verglichen mit allen "Fäulnisepochen" der vorausgehenden 200 Jahre.
Es ist nicht nur eine Krise der gesellschaftlichen oder Produktionsverhältnisse; es ist eine auf der Ebene der "Produktivkräfte". (Und dabei ist gleichgültig, ob wir die "Produktivkräfte" mit den Produzenten gleichsetzen, was Sinn macht, oder aber den Begriff auf die sachlichen Mittel, die Produktionsmittel und Produktions-Voraussetzungen, beschränken - Krise ist,wenn beides nicht mehr zusammenpasst. Und das ist gegenwärtig in dramatisch zugespitzter Form der Fall: Die Art, arbeitsteiliges Produzieren zu organisieren, löst die sich auf dem erreichten Niveau stellenden Aufgaben (aber welche genau sind das?) nicht mehr.)

Das Fortschrittsmodell der traditionellen Linken sah auf dieser Ebene der Produktivkräfte nur eine Richtung vor: technologisches Vorwärts, Produktivkraft-Entwicklung, -Wachstum (auch nachholende Industriualisierung); Unterschiede ergaben sich da nur noch aus Abbremsungen (unangemessene Produktionsverhältnisse) und Beschleunigungen (nach Revolution). Und das war nur konsequent; denn die Klassiker der Linken haben ihre politischen Analysen geknüpft an Voraussetzungen, die zu ihrer Zeit unabsehbar andauernden Epochen-Charakter hatten: Die Moderne, die Industrialisierung, die sich entwickelnde Technologie und zugehörige Wissenschaft waren ausgebildet; die historische Frage war, wie sie kollektiv verwaltet werden könnten.
Wir sind am Ende dieser Entwicklung angekommen.
Die Frage nach der Verwaltbarkeit der modernen gesellschaftlichen, mittlerweile bereits weltweiten Arbeitsteilung (Zentralisierung) ist mehr denn je offen; oder besser, sie ist durch sich anhäufende Erfahrung beantwortet: Diese Arbeitsteilung ist nicht zu verwalten. Kein Produktionsverhältnis kann die dabei sich auftürmenden Probleme auf Dauer lösen.
Wir stehen an einer Epochenschranke.
Und es ist diese niederdrückende Erkenntnis, die zugleich die politische Aktion lähmt.

Die Tatsache der fundamentalen Überforderung drückt sich aus als ein historisches Patt zwischen vier politischen Parteien, die allesamt an Staatsaufgaben ansetzen, deren Behandlung sie im derzeitigen Zustand vernachlässigt sehen - und das seit langem; sodass sich den jeweiligen Aktivisten ein riesig aufgehäufter Berg an Versäumnissen und nachzuholenden Problemlösungen anzeigt:
die Progressiven klagen über den Abbau des Sozialstaats (incl. öffentlicher Einrichtungen wie Verkehr, Bibliotheken, Schwimmbäder usw),
die "Patrioten" (Nationalisten,im Kern Wirtschaftsnationalisten) über die nachlassende Förderung der Binnenwirtschaft (Infrastruktur jeglicher Art, Re-Industrialisierung, "Make X great again");
die "Etablierten" (neoliberale Globalisierungs-Befürworter) vertreten die nach wie vor bestehenden Anforderungen an die Behauptung des Nationalstaats in der internationalen (imperialen) Konkurrenz, also der innig miteinander verschränkten der militärischen und der zivilen (Weltmarkt, Globalisierung; in diesem Rahmen Unterstützung transnationaler Unternehmen);
die "Technokraten" (BigX, mit X= Tech, Pharma, Farming,...) beharren darauf, dass das Beschreiten des eingeschlagenen Entwicklungspfades auf Dauer alle Probleme lösen wird, weshalb dafür keine Kosten gescheut werden dürfen.
Leider sind ALLE diese Zielsetzungen von der Art, dass einerseits dafür keine Kosten gescheut werden dürfen, sie sind existenziell, unerlässlich für das Überleben aller betreffenden Gemeinwesen (Nationalstaaten); andererseits ist längst klar, dass auch nur EINES davon halbwegs problemgerecht anzugehen, die Ressourcen des betreffenden Staats und seiner Gesellschaft an ihre Grenzen bringt.
Es gibt keinen unter den "entwickelten" Nationalstaaten, der diesem Patt, diesem - nicht Di-, nicht Tri-, sondern Tetralemma entkäme.
Und da ist noch nicht mal im Ansatz berücksichtigt, was der Weltgesellschaft an Gefahren durch die naturzerstörenden Kollateralschäden ihrer fortgeschritten-industriellen Produktionsweise droht. Oder, alternativ, durch unkoordinierte, schlecht durchdachte Versuche zu deren Vermeidung.

Das ist, sehr vereinfacht, die historische Situation, mit der sich ALLE genannten politischen Mentalitäten und Standpunkte auseinandersetzen müssen.
Man muss das nur aussprechen, um auf der Stelle zu wissen: Da ist kein Standpunkt unter den oben genannten, der diesen Herausforderungen auch nur ansatzweise noch gewachsen wäre.
Die Produktivkraftebene stellt Aufgaben, die durch kein historisch naheliegendes Vergesellschaftungskoonzept angegangen werden können.
Die Nationalstaaten sind IM PRINZIP nicht imstand, die Herausforderungen der Inter-Nationalität zu meistern.

Die Epochen-Übergänge wurden immer an einer von den Zeitgenossen nicht vorhergesehenen (nicht für bedeutsam gehaltenen) Stelle gemacht.
So, wie der eigentliche und grundlegende Mangel der Vor-Epoche (der sich immer mit ihrer grössten Errungenschaft, ihrer Fortgeschritenheit verband) kaum ja IN ihr auf den Begriff gebracht wurde.
Der Übergang zieht sich quälend hin. Und nur wenig Erleichterung steht in Aussicht. Der Knoten aus fünf Aufgaben, die jede für sich bereits alle Ressourcen aufzehrt, ist nicht lösbar, egal, auf welche Seite man tritt.

Forts 2: Wie und in welche Gruppen zerlegen sich aktuell die Gesellschaften der westlichen Industriestaaten?

Verfasst: 05.02.2021, 11:30
von HCGuth
Eine Teilung wie die im ersten Text oben (nochmals links/rechts) angeführte in vier Programme mit unvereinbaren Zielsetzungen kommt nicht von ungefähr. Aber wie sollen wir sie erklären?
Das wirft die Frage auf, was für Einfluss-Momente wir überhaupt für die Bildung von Einstellungen erwägen.
Dabei geht es nicht nur um Einstellungen überhaupt; sondern vor allem um die Frage, welche Zwänge oder Motive an Menschen eine Konvergenz ihrer Einstellungen zustandebringen, derart dass sie eben einer von relativ wenigen Gruppen zuordenbar werden, und auch sich selbst bewusst zuordnen, wenn sich diese Gruppen im öffentlichen Leben beginnen abzuheben (und abzugrenzen). Genauer gesagt, werden die Gruppen sichtbar durch Konflikte zwischen ihnen, die die Angehörigen der Gruppen mehr oder weniger zwingen, auf eine der beiden Seiten zu treten. Die einfachsten und traditionell bekanntesten solchen Gruppen sind die KLASSEN - ein Begriff, der nur dadurch vorübergehend problematisch erscheinen musste, weil er, nach dem Vorbild der feudalen Stände, eine Erblichkeit der Stellung in der Hierarchie der Vermögen, Einkommen, der Art der Einkommensquelle, der Bildungschancen usw unterstellte.
Die scheinbare Option des Aufstiegs, eigentlich ganzer Klassen, nämlich der Lohnabhängigen, in Richtung vermehrter Besitz- und Eigentumschancen, die die sozialdemokratische Phase der Entwicklung in kapitalistischen Industrieländern bestimmte, hat die Kategorie vorübergehend obsolet erscheinen lassen (Nivellierung zu einer Mittelstandsgesellschaft usw). Aber bereits der traditionelle (va marxistische) Begriff der Klasse hatte seine Tücken; er orientierte sich an einer Erwartung, wonach die Stellung in der Produktion von Gütern und der Erstellung von Dienstleistungen stark konvergieren würde mit der Stellung in den oben genannten Dimensionen der sozialen, hier ökonomisch bestimmten Hierarchie (Höhe und Art des Einkommens, des Verfügens über Vermögen bzw Kapital usw). Diese Eindeutigkeit splitterte immer mehr auf, die Einzel-Merkmale schienen sich zeitweise, bei Gruppen und Einzelpersonen, von einander zu trennen und eigene Entwicklungen durchmachen zu können, sodass die ursprüngliche Einfachheit und damit Wucht des Klassenkonzepts an der sozialen Realität nicht mehr anschaulich erfahrbar wurde. Das hat sich unter der 40jährigen Herrschaft des neoliberalen Staatsprogramms gründlich geändert; die Momente des Klassen-Konzepts, dass es nämlich grosse Gruppen der Gesellschaft, beinah erschöpfend, betrifft, an denen das Wesentliche vor allem ihre Stellung in und zur Produktion ist, sind wieder real, die Kategorie ist eine "Realkategorie", ein Begriff, dessen Gegenstand durch die historische Entwicklung sich von selbst aus den Erscheinungen heraushebt und zugleich ein bestimmendes, einflussreiches Element der Gesamtsituation und Entwicklung darstellt.
Festzuhalten ist: Die Bildung, Auflösung und Neu-Bildung von Klassen wird vorangetrieben durch (stabilisierende und verändendernde) Mechanismen und soziale Antriebskräfte derselben Art, die auch in früh-bürgerlichen und Zeiten der industriellen Revolution am Werk waren: Stellung in der Produktion und DARAUS resultierenden Positionen bei deren Verwaltung (etwa in Form einer Eigentumsordnung mit privater Verfügung über Produktionsmittel).

Die zentrale These, auf die ich hinauswill, und für die mir dieser Vorspann nötig erschien, lautet natürlich: dass die im letzten Text erwähnten vier Parteien politische Erscheinungsformen sind einer Klassen-Bildung am Ende der neoliberalen Phase der kapitalistischen (Spät)Moderne.
Genauer gesagt, die Anliegen dieser Parteien stellen kollektive Ansprüche einer je zugehörigen Klasse an ihren bzw Interessen IN ihrem jeweiligen Nationalstaat - solche, die, vor allem, wenn sie, als massiv vernachlässigte, aufgestaut und massiv dem Staat präsentiert werden; spätestens als so massive stehen sie aber in Gegensatz zu den Interessen (generell; und speziell gegenüber dem Staat) ALLER drei andern Klassen.

Das Gefüge an Klassengegensätzen, das wir unmittelbar in den westlichen Industriestaaten vor Augen haben, stellt sich dar als eine sehr umschriebene Menge von Ausschlüssen, genau gesagt: drei. Es sind dabei nicht vier Klassen entstanden, die sich (wie die Parteien im Staat) quasi von gleich zu gleich gegenübertreten; sondern es ergibt sich eine Stufung, derart dass drei Klassen durch Besitz eines Merkmals die erste ausschliessen; zwei die zweite; eine zusätzlich noch innerhalb des verbliebenen Paares sich abhebt, und nochmal die dritte Klasse ausschliesst.
Es liegt nahe, darin eine Rangordnung von Klassen zu sehen, einfach durch Art und Ausmass der Chancen, die die jeweilige Einkommensquelle und/oder Art der Güter, durch sich die Angehörigen der betreffenden Klasse auszeichnen, ihren Besitzern eröffnen. In der feudalen Ständegesellschaft waren diese Chancen unmittelbares Resultat der Zuweisung von Rechten und Pflichten durch die (vormoderne, vorbürgerliche, frühneuzeitliche) Staatsgewalt und Rechtsordnung. In der klassischen bürgerlichen Gesellschaft waren es wesentlich Chancen in der Konkurrenz auf einem nationalen Markt (neben zahllosen fortbestehenden und neu hinzukommenden Privilegien und Monopolen, speziell beim Zugriff auf koloniale Raubgüter). An dieser Ausgangssituation haben die grossen Entwicklungsphasen der kapitalistischen Moderne (klassisch-liberal bis zum ersten Weltkrieg, dem Jahrzehnt bis 1930 als Übergang, dann sozialdemokratisch, mit den Kriegen als starken Wirtschafts-Ein-, gesellschaftlichen Umbrüchen, aber auch Chancen auf deutliche Produktivitätssprünge) nicht sehr viel geändert. Die neue Situation ist entstanden durch die beinah ausschliesslich aufgrund der von einer neoliberalen Staatengemeinschaft unter Führung der USA (und einer gleichgesinnten EU als Verbündeten) durchgesetzten Freihandelsordnung (freier Verkehr für Waren, Kapital, Dienstleistungen und Arbeitskräfte; Weltmarkt-Regularien für riesige Wirtschaftsräume: Normierungen usw, Abbau von "Handelshindernissen").
Das Neue an dieser Situation ist: Der National-Staat gestaltet hier nicht eine Ordnung durch Zuweisung oder Umverteilung von ausschliessenden Berechtigungen, sondern VERZICHTET (so das Programm; in der Realität sieht das womöglich ganz anders aus) auf solche Eingriffe.
Der Staat lässt damit die Spaltung seiner Bürger in Weltmarkt-Konkurrenz-Fähige und Nicht-Fähige zu bzw ERZEUGT sie geradezu. Und zwar sowohl bei den Lohnabhängigen, wie den "Selbständigen"; dasselbe gilt für alle Sorten Kapital, und die im Binnenverhältnis (aber auch nur da) vordem relativ souverän handhabbare nationale Währung (oder die Verbund-Währung, wie den Euro).
Zugleich gibt der Staat sich natürlich nicht auf; von der mehr oder weniger unvermeidlichen Teilhabe seiner Unternehmen am Weltmarkt, eventuell in Staaten-Zusammenschlüssen, Zoll-Unionen, Freihandelszonen (also der Verbindung aus Ein- und Ausschluss), und deren Selektion in der harten Welt-Konkurrenz, erhofft er sich Vorteile seines nationalen Kapitals, die freilich erkauft sind durch ebensolche für "auswärtiges".
DIESE Trennung, die Zuordnung von Einkommensbeziehern und Vermögensbesitzern zu Staaten, verschwindet nicht; auch, wenn - aber eben nur unter Voraussetzung der Freihandelsordnung - die Staaten um Kapital-Ansiedlung und benötigte und qualifizierte: brain drain, Arbeitskräfte konkurrieren (Standort-Konkurrenz).

Bei Marx gibt es bekanntlich die sehr sinnvolle Unterscheidung in einen produktiven und einen "unproduktiven" Sektor, der gewählte Begriff ist allerdings missverständlich: Produktiv heisst das eigentlich akkumulierende Kapital, das überhaupt den massgeblichen Überschuss erzeugt, und letztlich definiert, auf welches Niveau der Produktivität die Erzeugung von Produkten gelangt sein oder immer wieder aufs neue gelangen muss, um überhaupt an der Konkurrenz teilnehmen zu können. Im Zentrum dieser Produktivität dieser Erzeugung stehen also tecnologisch fortgeschrittene Produktionsmittelm und ihr durchgehender Zusammenhang (im Sinne von Synergien). Die Abhängigkeit des "unproduktiven" Wirtschaftssektors vom produktiven zeigt sich darin, dass der unproduktive seine Produktionsmittel nicht selbständig herstellt, sondern vom produktiven geliefert bekommt, im Austausch im wesentlichen mit "Dienstleistungen" oder Sonderproduktionen, bei denen der Gebrauchswert im Vordergrund steht, nicht die Kosten bzw Grössenordnung ihrer Erzeugung (die gesamte Staatsnachfrage nach Gütern fällt in diesen Bereich, also etwa Rüstung; Luxus, Forschung).
((Es soll damit nicht gesagt werden, dass dieser Sektor keine Produktionsmittel herstellt, aber wenn, dann unter Rückgriff auf die im eigentlichen Haupt-Reproduktionskreislauf der eigentlichen Wirtschaft, auf deren Technologie-Niveau, hergestellten; die Güter wie etwa in Forschung und Entwicklung, die in diesen irregulären Sektor gehören (was anzeigt, wie irreführend der Marxsche Begriff gewählt ist), können sogar auf einem höheren als dem durchschnittlichen Produktionsniveau erzeugt sein - das "normale" (industrielle) Technologie-Niveau dient hier aber als Sprungbrett dafür, dass diese Ausnahmeniveaus überhaupt mit tragbaren Kosten erreicht werden können.)
Ökonomisch ist der unproduktive Sektor charakterisiert durch die Einkommen, aus denen sich die zahlungsfähige Nachfrage nach seinen Gütern speist, und die im Haupt-Reproduktionskreislauf der Wirtschaft entstehen: Lohneinkommen ("Konsum"; Dienstleistungen, Handwerk, "Selbständige" usw) und Gewinne bzw Überschüsse (va Luxusnachfrage; Staatseinkommen; Forschung und Entwicklung usw). Komplementär dazu treten als weitere Quelle zahlungsfähiger Nachfrage nur noch die "umschlagenden" Kapitale, abzüglich der Lohnkosten, auf: Der innereste Zirkel der kapitalistischen Produktion - Produktionsmittel, die (zusammen mit Arbeit) Produktionsmittel erzeugen; und das auf immer höherem technologischem Niveau (wozu dann allerdings Einspeisung von Überschüssen nötig wird.))

Globalisierung bedeutet, dass für diejenigen Produzenten, die überhaupt Weltmarkt-fähig sind, sich der Reproduktionskreislauf, von dem sie selbst einen Teil bilden, über viele nationale Grenzen weg erstreckt (wozu, als wesentliche Voraussetzung, eine extrem leistungsfähige Transport-Infrastruktur (aktuell auf "billiger" Ölbasis: Schiffsdiesel...) gehört.) Diese teilweise Einschaltung eines Unternehmens in die globalisierte Kapitalreproduktion und -Akkumulation zerschneidet nicht nur seine eigene Produktion in eine nationale, am Binnenmarkt präsente, und eine internationale, sondern die gesamte nationale Wirtschaft. Und da die Weltmarkt-Teilhabe vor allem der Kostensenkung und Produktivitäts-Steigerung dient, was gleichbedeutend ist mit Produktion auf dem technologisch-industriell und ökonomisch (Billiglöhne) fortgeschrittensten Kosten- und Qualitätsniveau, setzt sie, im Mass, wie nationale Reproduktionskreisläufe in Teilen in diesen internationalen Kapitalkreislauf eingeschaltet sind, die anderen Teile zu "unproduktiven" Anhängseln dieses Hauptkreislaufes und seiner Konjunkturen herab.
Dabei ergeben sich auch in den global-unproduktiven Sektoren der nationalen Wirtschaften unterschiedliche Perspektiven, je nachdem, ob Dienstleistungen usw für internationale zahlungsfähige Nachfrager erbracht werden, etwa im Tourismus, oder nur noch für nationale Einkommensbezieher. Vergleichbares gilt für die Lohnabhängigen.
Die Unterscheidungen Global/Binnen-wirtschaftlich (-reproduktiv), und (im marxistischen Sinn) produktiv/unproduktiv spielen für die ökonomische Position, die Höhe und Sicherheit der Vermögen und Einkommen, der Bevölkerung eines Nationalstaats eine existenziell bedeutsame Rolle, und zieht in die ursprünglich einfache Klassenteilung in (grob) Lohnabhängige, Kapitaleigner (incl Investitions-Lenker, Unternehmer/Manager etc) und "Kleinbürger" neue Grenzen ein.
In die Weltmarkt-Konkurrenz treten die beteiligten Unternehmen mit höchst unterschiedlichen, lokal gewachsenen Voraussetzungen ein - vieles davon wird unter den Titel "internationale Arbeitsteilung" subsumiert und damit (ganz im Sinne von Ricardos einschlägigem Argument von den "komparativenVorteilen", die darum nie verschwinden werden) auch verbrämt. Vor Eintritt ins Globalisierungszeitalter hatten Staaten bekanntlich viele Möglichkeiten, ihre nationalen Unternehmen und auch Lohnabhängigen vor importierter Verschlechterung der Konkurrenz-Bedingungen zu schützen. Das entfällt - nicht ganz; aber es tritt zumindest in Widerspruch zur Freihandelsordnung.
Das ist alles in allen betroffenen Staaten bekannt; weniger klar ist, dass die bleibende Anbindung der Staaten an "ihr" Staatsgebiet, Unternehmen, Einkommensbezieher und -generierer als (einziger) Quelle ihrer Ressourcen, ihnen gewisse Rücksichtnahmen auf die Binnenverhältnisse auferlegt. Aber noch viel wichtiger: Die Staaten, als einzig verbliebene Gewalthaber nach Abschluss der vormodernen Entwicklung der binnenstaatlichen Gewaltkonkurrenz finden jenseits ihrer Grenzen andere Gewaltpotentiale vor, die allein, weil sie eben ein Gewaltmonopol gegen jede interne Gewaltdrohung aufrechtzuerhalten haben, bereits ein alle Gewaltpotentiale im Innern übersteigendes, also "Souveränität" konstituierendes solches Potential verfügbar halten müssen. Diese überlegene Droh-Fähigkeit des Staats schlägt auf der Stelle nach aussen um, sofern dort irgendein Kräftegefälle entsteht, dem entlang "Machtprojektionen" möglich werden - jenseits der Grenzen, wo zugleich keine Rücksichten mehr zu nehmen sind. Die Logik der Gewaltkonkurrenz ist die simpelst denkbare: Jede strategische (dh kriegs- und konflikt-entscheidende) Überlegenheit KÖNNTE ausgenutzt werden.
DASS es jede Menge Anlässe für solche Rückgriffe auf Gewalt gibt, ist den Gewaltmonopolisten bereits aus dem Innenbereich nur zu bekannt. Bloss, dass es jenseits der Grenzen eben gerade KEIN weltumspannendes Monopol gibt, das Regeln (die dann WELCHEN WIE vertretenen Interessen gemäss eingerichtet würden?) durchsetzen könnte: Inter-national herrscht noch immer der Hobbes-sche "Naturzustand": die imperiale Konkurrenz, vorzugsweise der grössten Grossmächte und Bewerber um den prekären Titel einer Welt-Hegemonialmacht; unter der Ebene von deren Rivalität treten freilich gleich die nächsten "Mittelmächte" an, um regionale Kräfteverhältnisse zu verschieben und gegeneinander zu nutzen.
Zwei Elemente sind hier massgeblich:
Erstens, die ursprüngliche Anbindung der Nationalstaaten an die Ressourcen ihres Territoriums; und: Die Unterwerfung der globalisierten Weltwirtschaft unter die verglichen damit vorrangigen Ansprüche der Nationalstaaten auf Erhalt von Kräfteverhältnissen oder auch deren Verschiebung zu ihren Gunsten. Der Freihandel steht somit unter dem Vorbehalt, diese Kräfteverhältnisse nicht zu stören bzw nach Möglichkeit zu je eigenen Gunsten zu ändern.
Dieser Vorbehalt schafft einen Gegensatz im Lager der Befürworter bzw Nutzniesser der Globalisierung.
Es löst sich eine Gruppe mit dem zumindest subjektiv eingeschätzten Interesse, Produktivitätssteigerung und "Wachstum" als weltweit einzig noch gültige gesellschaftliche Zielsetzung zu etablieren, und sich damit nicht nur über die Ansprüche nach wie vor "national" verankerter also rückständiger Produzenten und Deklassierter hinwegzusetzen, sondern sogar noch über die Notwendigkeiten, denen die Aufrechterhaltung einer staatliche Ordnung genügen muss.

Die etablierten Parteien der "westlichen" Nationalstaaten, also der neoliberalen Befürworter der Globalisierung, sehen sich dabei nicht nur mit den zunehmend vernachlässigten Ansprüchen der genannten drei "Klassen" an den jeweiligen Nationalstaat (oder, im Fall der Technikraten, gleich an die gesamte "Staatengemeinschaft") konfrontiert, sondern gleichzeitig damit, dass ihre Handlungsspielräume durch Standortkonkurrenz einerseits, imperiale Konkurrenz andererseits massiv geschwächt werden. Alle drei Anspruchsrichtungen verkörpern zugleich Zielsetzungen, denen zu genügen für den jeweiligen Nationalstatt einzig eine SCHWÄCHUNG bedeuten würde: Supranationale Ziele ebenso wie die im Sinne der Globalisierung unproduktiven nationalen Wirtschaftszweige bzw Sozial- oder auch Umwelt-Erfordernisse sind nur einfach Abzug vom Einsatz für Teilhabe der weltmarkt-fähigen Unternehmen an der inter-nationalen Konkurrenz. Und die ist nun mal die, welche technologisch und ökonomisch die Ausgangsbasis für Teilhabe auch an der militärischen, der Machtkonkurrenz verbürgt. Dem Standpunkt der imperialen Konkurrenz sind nur leider alle anderen Gesichtspunkte, selbst die Feihandels-bezogenen, untergeordnet; im Mass, wie diese imperiale Konkurrenz sich verschärft (und das geschieht AUTOMATISCH), werden die regierenden Neoliberalen den verbleibenden, weil Stabilität und zulängliche Binnen-Reichtums-Anhäufung verbrügenden Anforderungen ihrer nationalen Machtgrundlage nicht mehr gerecht.
Ihr Staatsprogramm ist dazu verurteilt, ander unausweichlichen Internationalisierung zu scheitern, so wie das der Staatssozialisten und Sozialdemokraten davor.
Und keine der drei Oppositionen hat, ausser ihrem Partikular-Gesichtspunkt, diesem Scheitern etwas entgegenzusetzen. Sie gehen zusammen mit den Neoliberalen unter - oder, im besten Fall, stagnieren mit ihnen.
Die Produktivkraft-Entwicklung stellt Aufgaben, die die herrschenden Vergesellschaftungsformate (aka Produktionsverhältnisse) nicht einmal ansatzweise mehr bewältigen.
Anders als in 200 Jahren industrieller Moderne, ist jetzt tatsächlich eine Epochengrenze erreicht - auf der Produktivkraft-Ebene; so geht es nicht weiter.
Aber wie dann?

Re: Zur Frage: Ist die traditionelle Links-rechts-Unterscheidung überholt?

Verfasst: 05.02.2021, 18:11
von willi uebelherr
Lieber Hans (@HCGuth),

bevor ich mich etwas naeher mit deinen gedankengaengen beschaeftige, will erst mal eine formale frage klaeren.
1) was sind fuer dich die "vier parteien"? Progressiven, Etablierten, Technokraten. Und die 4.?
2) in deiner aufzaehlung taucht die bevoelkerung nicht auf ausser jenen, die du hier als Aktivisten bezeichnest. Aber das ist ja nur ein winzig kleiner teil.

mit lieben gruessen, willi

aus der antwort pn an willi:

1) die vierte gruppe: die sog rechtspopulisten (wirtschaftsnationalisten, "patrioten")
2) die bevölkerung... besteht aus grossen blöcken an konormisten, wobei das nicht zu werten ist, weil sehr viele menschen den kopf kaum über wasser kriegen, in ihrem von zwängen zugestellten alltag.
ich äussere mich (noch) nicht zur frage, wieviele leute eigentlich und wie bewusst hinter diesen 4 richtungen stehen. auch die etablierten haben selbstverständlich anhänger (wähler), die bestehen ja nicht nur aus regierung und karrieristen.
aber die klassengliederung (abgehängte, national wettbewerbsfähige, global wettbewerbsfähige; supranationale träger der herrschenden technologischen fortschrittsbewegung), die ich andeute, legt ja schon einige partei-orientierungen nahe, die nicht nur ich bemerke ((wobei die vertretenen ihre vertreter nicht unbedingt unbedingt unterstützen):
abgehängte und prekäre werden von "progressives" vertreten;
nur national noch wettbewerbsfähige von "patrioten/rechtspopulisten";
global wettbewerbsfähige von etablierten neoliberalen globalisierern (mehr oder weniger einheits)parteien;
technologie-entwicklungsträger von supranationalen merito- und technokraten-einflussgruppen wie wef.

Forts 3: Das unvermeidliche "Staatsversagen", Teil 1: Basis-Kategorien

Verfasst: 25.02.2021, 12:01
von HCGuth
(Achtung, Text wird noch weiter bearbeitet...)

Vorbemerkung. Das Wort "Kategorie" bezeichnet hier nicht einfach sowas wie einen "Allgemeinbegriff", eine blosse Hinsicht, unter der man etwas zusammenfasst (und von anderm unterscheidet). Sondern damit sind grundlegende Bestandteile einer PRAXIS (genauer: einer re-produktiven, arbeitsteiligen kollektiv-kooperativen Praxis grosser Menschengruppen, auf gegebnem technischem und BIldungsniveau) gemeint, aus denen sich die Teilnehmer einer Praxis selber diese zusammengesetzt denken müssen, und für die sie die "Belegungen" finden müssen. Mit anderen Worten: Diese Praxis-Abteilungen oder eben Kategorien sind unentbehrliche Elemente (zumimdest wird das über sie behauptet) einer jeden historischen gesellschaftlich-kulturellen Realität. Sie erlegen also auch dem Handeln der beteiligten Akteure Restriktionen auf - die sie freilich anerkennen; wenn und solange nämlich sie wollen, dass unter den gegebnen Randbedingungen ihr Handeln (Tun, Verhalten) SINN machen soll.
Das Wort "Basis" soll andeuten, dass es sich um Kategorien handelt, die in jede anthropologisch-historische Untersuchung mit einfliessen MÜSSEN (so wie die ganz elementaren Kategorien des (kollektiven) Handelns ("Handlungstheorie", Praxis) überhaupt; diese Kategorien standen den Klassikern (trotz des Vormerkpunkts in den feuerbachthesen mit dem dort überaus betonten Wort PRAXIS; ein uneingelöstes Theorie-Projekt) nicht ausgearbeitet zur Verfügung - und daran haben tatsächlich etliche Generationen auch bürgerlicher, vor allem aber materialistischer Philosophen wie Wittgenstein im sog Spätwerk, oder die "Kulturhistorische Schule" (Leontiev, Wygotski, Luria); am Rande noch Holzkamp; es sind bislang wenige geblieben, leider), gearbeitet. Basis-Kategorien sind, darüberhinaus, solche, die zur Beschreibung der "materiellen Basis" oder eben der ReProduktionsWeise einer Epoche/Formation und ihrer Entwicklung herangezogen werden MÜSSEN.

An den Feststellungen in 2 ist erstens zu bemerken, dass die neuen Klassenteilungen entstanden sind aus dem ZUSAMMENWIRKEN von National-Staat und Kapital, wodurch eine Ebene der Kapitalakkumulation entstanden ist, die zwar jedesmal IN einem Nationalstaat stattfindet, aber in gewissem Mass sich seiner Regulierung entzieht (andernfalls würde sie durch diese Regulierung gleich wieder abgebaut: Es ist eben das NICHT-Regulieren des und der Nationalstaaten, das diese Ebene überhaupt erschafft; das gesamte (relative) Nicht-Regulieren ist Ergebnis einer permanenten Abwägung, was für die Stellung in der imperialen Konkurrenz besser ist: Teilhabe an der wechselseitigen Benutzung, oder Rückgriff auf Erpressung (mit Sanktionen) oder gleich Androhen militärischer oder sonstiger "hybrider" Gewalt).

Bemerkenswert ist also zweitens: Die Mittel für den Staat, den die technologisch fortgeschrittene und darum auch weltmarkt-fähige Abteilung der nationalen Produktion*) erwirtschaftet, dienen SEINEM Zweck der Selbstbehauptung in der nie endenden**) Nationenkonkurrenz.

Es hat keinen Sinn, gegen diesen Sachverhalt Erinnerungen an Zustände anzuführen, als der Kapitalismus jung war, und der bürgerliche Staat, als dessen Garant, noch beinah garnicht als solcher existierte (jene Zeiten, als die linken Klassiker ihre Basis-Überbau-Theorien entwarfen; der moderne bürgerliche Staat ist mittlerweile seit langem massgeblicher Teil dieser "Basis"). Es waren jene Zeiten der frühen Industrialisierung vor sich ging, in denen die schlichte Gewaltkonkurrenz der "imperialistischen" Staaten, ihr mit militärischer Gewalt abgesicherter Exklusiv-Zugriff auf Weltterritorien (Kolonien, Absatzmärkte, Handelswege, lohnende Investitionsvorhaben; militärische Einflusszonen) bei weitem das Übergewicht gegenüber den "Wechselseitigkeits"- und zivilen Benutzungsaspekten der imperialen Konkurrenz hatte. Damals war das Hauptziel der grossen Staatsgebilde, die überhaupt als Kandidaten für eine Machtkonkurrenz infragekamen (statt bloss Vasallen solcher zu sein), überhaupt erst einmal die Grundlagen für eine Weltmarktfähigkeit ihrer Exporte zu schaffen, angefangen bei Agrargütern; oder, und in gewissem Widerspruch zum Agrarexport, durch Protektionismus eine exportfähige Industrie; oder, noch später, eine beschleunigt nachholende Modernisierung und Industrialisierung in Gang zu setzen, um vor allem militärisch auf Augenhöhe mit Konkurrenten zu kommen.

(Die Landwirtschaft ist ein schönes Beispiel, wie stark die staatliche Machtentfaltung die Geschäfte bestimmt: In den Jahrzehnten vor dem 1. und 2. Weltkrieg war ein Problem der Industrieländer, dass ihre Exporte gespalten waren: Industriegüter hätten in Agrarnationen exportiert werden sollen, im Austausch gegen deren Agrargüter. Oder umgekehrt, wie zB in Deutschland vor dem 1.Weltkrieg: Gegen englische Waren brauchte der deutsche Binnenmarkt strikten Protektionismus, die ostelbischen Junker (wie lang zuvor schon englische Grossgrundbesitzer; deren Exportgetreide zT zugleich auch noch preis-subventioniert war) hingegen, deren Grossgüter modern und effizient (mit billigen Arbeitskräften) bewirtschafter wurden, forderten Freihandel. Freihandel war nach Erlangung der Weltmarktfähigkeit der europäischen Industrieregionen grundsätzlich erwünscht - ausser im Agrarbereich. Warum? Weil aus militärischen Gründen der nationalen Autarkie auch eine rückständige Landwirtschaft dringend erhalten, und zur Aufrechterhaltung niedriger Löhne, also niedriger Lebensmittelpreise, auch noch subventioniert werden musste. Ein Kostenfaktor und/oder empfndlicher Mangel für den Staat. Einziger Ausweg, den die EWG, später die EU bis heute dann auch konsequent umgesetzt hat: Durch-Industrialisierung der nationalen Agrar-Produzenten, so sehr, dass natürliche Mängel gegenüber natur-begünstigten Anbietern keine Rolle mehr spielten - zusätzlich, solange nötig (aber mit der Tendenz, abgebaut zu werden) Unterstützung mit Subventionen, unter besonderer Berücksichtigung der (Gross)Betriebe, die zur Investition (ev per Kredit), Flächenausweitung, Mechanisierung fähig und bereit waren. Solche Geschäftssphären, deren Produkte ganz oder zu massgeblichen Teilen dem Staat und seinen Zweck dienen, haben notwendig halb- oder ganz-feudalen Charakter behalten, und bilden eine privilegierte Sondersphäre der Kapitalanlage, die darum in Teilen der "normalen" Konkurrenz um Konstensenkung entzogen sind. Dazu gehören: Rüstung, Infrastruktur (Technik für Ver- und Entsorgung, Energie, öffentlicher Verkehr, Kommunkationsnetze), Gesundheit, (Tief)Bau, systemrelevante Geschäfts-Banken...)


Man kann dann ganz grob festhalten, dass die vier grundlegenden Interessen, denen sich die oben angeführten "Parteien" verschrieben haben, quasi vier Geschwindigkeiten entsprechen, oder auch ebensovielen Prioritäten, mit denen der technische Fortschritt vorangetrieben werden soll, nämlich entweder
- unter Berücksichtigung der Lebens- (ökonomisch: Konsum-)Interessen der Bevölkerung; oder
- unter Berücksichtigung des Interesses an einer "ausgewogenen" Entwicklung der nationalen Industrie (ökonomisch: Kapitalakkumulation); oder
- so, dass die Optionen einer inter-nationalen Arbeitsteilung (mit starker Zentralisierung, zugunsten noch höherer Produktivität) vorrangig realisiert werden (ökonomisch: Globalisierung, Freihandel, transnationale Abhängigkeiten und Unternehmen);
- so, dass ALLE verfügbaren Ressourcen unmittelbar auf Umsetzung von technischen Möglichkeiten auf dem je fortgeschrittensten Forschungsniveau verwendet werden.

Zwischen diesen Zielsetzungen besteht der alt-ehrwürdige Widerspruch zwischen Fortschritts- (Produktivitäts- = Effektivtiäts- und Effizienz-) Beschleunigung, um später über Ressourcen in sprunghaft höherer Grössenordnung verfügen zu können, einerseits, und Fortschritts-Konsolidierung andererseits, wo jedes erreichte Niveau erstmal Anforderungen an seine Verankerung in vorfindlichen Lebens- und Gesellschaftsverhältnissen (die in fortgeschritten-modernen Industriegesellschaften längst das Resultat früherer Fortschrittsstufen darstellen) erfüllt haben muss.
Die Maximierung der Fortschrittsgeschwindigkeit geht einher mit einer ihr entsprechenden Vernachlässigng aller anderen Anforderungen.

Die Anforderungen kann man wiederum grob als solche beschreiben, die sich aus der GESELLSCHAFTLICHKEIT***) der arbeitsteilig betriebenen Produktion und ihres Fortschritts ergeben: Die rein technisch-produktiv begründete KO-OPERATION immer grösserer Menschenmassen, die durch immer weiter gehende Arbeitsteilung in existenzielle Abhängigkeit voneinander versetzt sind, bedarf, spätestens angesichts der ununterbrochen technologisch umgewälzten Produktionszusammenhänge, der (vorausschauend-planenden) KOORDINATION und alsbald auch der KONSENSFINDUNG - auf entsprechend ausgedehnter Stufenleiter.
Mit dieser einfachen Ausdifferenzierung der Vergesellschaftungsanforderungen ergeben sich weitere Tendenzen zu Zielkonflikten: Die Anforderungen widersprechen einander in gewissem Grad, obwohl sie alle unentbehrlich sind, und zusammen konkurrieren sie mit dem eigentlichen Fortschrittsprozess selbst um Ressourcen, den sie doch zugleich möglichst unaufwendig verwalten sollen.
((Zur Einordnung: Dies und das folgende sind einige nötige Präzisierungen zur klassisch linken, also marxistischen und maximal abstrakten Analyse-Kategorie Produktionsverhältnis.))


Aber damit nicht genug: Alle drei Ebenen der (sich zunehmend ausdifferenzierenden) Vergesellschaftung, die der produktiv organisierten (Re)Produktion, der (wirtschaftenden, ökonomischen) Koordination, und die der (politischen) Konsensfindung, unterliegen seit je her, vorzugsweise aber seit Beginn der Industrialisierung und Modernisierung beschleunigt, einer weitere Widersprüche erzeugenden Teilung in PRIVATE Formen (im wesentlichen durch persönliche Beziehungen "face to face" vermittelte) und ÖFFENTLICHE (institutionelle; kleingruppen-übergreifende Regelsysteme, die tatsächlich befolgt werden, mit abnehmenden Graden von Einsicht in ihre Begründung bzw Rechtfertigbarkeit und Freiwilligkeit sowie unterschiedlchen Graden ihrer Durchgesetztheit mit Gewalt(drohungen)).

Man könnte dabei die Grob-Teilung in privat und öffentlich verfeinern, etwa einmal nach der Zahl der einbezogenen Personen, die dabei quasi aktiv mit oder ganz gestaltendes Subjekt, und die derjenigen, die passiv bleiben, nachvollziehen, oder über die gleich ganz verfügt wird, die also "Objekt" von Regelungen werden. Des weiteren könnte man ausgeprägt hierarchische Binnengliederungen von mehr egalitären "flachen" Abstufungen der Befähigung (incl Zugang zu "Herrschaftswissen", Bildung) und Befugtheit bzw der Chancen zur Gestaltung und Teilhabe unterscheiden.

Bei gegebnem Stand der realisierten und realisierbaren Produktivkräfte sind also mannigfaltige Formen der Vergesellschaftung möglich - mit je unterschiedlichen Rück-Wirkungen auf die ressourcen-optimale und zugleich nachhaltige Organisation der Produktion und ihres Fortschritts. (Anders ausgedrückt: Eine Form der Vergesellschaftung kann für diese Organisation, je nach von den massgeblichen Bevölkerungsteilen verfolgter Zielsetzung, "geeigneter" oder weniger geeignet bis gänzlich unrealisierbar sein.)
Die auftauchenden Widersprüche zwischen den dabei gesetzten Prioritäten zugunsten einiger Ziele und zuungunsten anderer betreffen darum auch je unterschiedlich ausgebildete und eingestellte Bevölkerungsteile, mit mehr oder weniger grosser Homogenität und möglicher "Betroffenheit" als Gruppe.
(Meist hält sich diese "naturwüchsige" also historisch ererbte Homogenität aus vor-modernen Epochen bis in früh- und hoch-industrielle Verhältnisse, wo sie sich alsbald mit zunehmender Unterschiedlichkeit der Regionen, Schichten, individuellen (Aus-)Bildungsgängen, beruflichen und privaten Schicksalen, schlissslich auch der so über Generationen weg erzeugten Vielfalt an Persönlichkeiten, auflösen, und einer "Individualisierung der Lebensstile" Platz machen, die die fundamentale Klassenlage im Leben der Betroffenen, vor allem, solang es halbwegs gut eingerichtet ist, verdecken kann.)

Die Nichterfüllung von "Anforderungen" macht sich dann für irgendwelche Leute schmerzlich bis zerstörerisch bemerkbar, je im Rahmen ihrer Stellung in der Produktion und Vergesellschaftung.
Es gibt daher auch kein konfliktträchtiges Anliegen (Ziel, Zweck), sei es produktiver, sei es Vergesellschaftungs-bezogener Art, das nicht sich einige politisch aktive Personen, Gruppen von ihnen, zueigen und gegen andere geltend machen; genauer gesagt, sind es dann bestimmte Prioritäten-Setzungen in der Reihenfolge und/oder der Verteilung von Ressourcen aller Art (angefangen bei Leistungsbereitschaften, -fähigkeiten, und -grenzen), die von Gruppen gegeneinander verfochten werden.
Dabei ergeben sich unterschiedliche Niveaus des Austrags von Konflikten:
Ganz elementar
- im Rahmen der grundsätzlichen Unterwerfung jedes möglichen Gegners durch Gewalt; oder
- die punktuelle Unterwerfung (Zwang) des Gegners zur Durchsetzung einer (subjektiv berechtigten) Forderung bzw deren Anerkennung durch ihn (die ihm einleuchten müsste; oft als Prinzip oder Regel: Durchsetzung eines "Rechts", das er dauerhaft anerkennen soll), das heisst auch "Kampf um/für...". Drittens:
- Aushandlung von Kompromissen im Rahmen eines Gefüges von (berücksichtigten) Interessen (bedingt durch die STELLUNG, die jemand, eine Gruppe, in diesem Gefüge (Klassen- und (Nicht)Eigentümergesellschaft) hat, das stabil bleiben soll: Politik im weitesten Sinn (politische Kämpfe in einem Staat oder zwischen Staaten). Viertens (utopisch):
- Ableitung konkreter Regelungen aus einer Norm oder einem System von Normen, die von allen Beteiligten akzeptiert sind (zB "Gerechtigkeit"). Fünftens (und absolut utopisch):
- Ableitung aller Forderungen aus einem Verständnis dessen, was die Adressaten angesichts bestimmter ihnen vermittelter Erlebnisse und/oder Einsichten, auf ihrem Stand, einsehen können, wenn sie nur überhaupt weiter als zurechnungsfähig anzusehen sein sollen.

Mit diesen dürren, nichtsdestotrotz die Basis-Kategorien der marxistischen (historisch-materialistischen) Tradition ergänzenden Begriffen ist es leider nicht getan.
Denn in dieses allgemeine "Formular" müssen wir zumindest grob skizzenhaft die erreichten Produktivkraft-Entwicklungsstände eintragen - zu denen gehören freilich nicht nur die Errungenschaften; sondern (was gern vergessen wird) auch die auf dem zurückgelegten Fortschrittspfad erzeugten EINBUSSEN an Produktionsoptionen (Ressourcen-Einengung), die den weiteren Fortschritt, in gleich welche Richtung, zunehmend behindern. Die sekundären, unerwünschten Folgen für die Vergesellschaftung, die sich aus dem historischen Fortschrittsprozess der "Produktivkräfte" mitsamt Nebenfolgen ergeben, kommen dann noch dazu, durchaus wieder in Gestalt von zu lösenden Aufgaben, neu eröffneten Chancen (die zu nutzen...) bzw Risiken und eindeutigen Belastungen für diese Vergesellschaftung (die abzubauen sind).

Diesen OBJEKTIVEN Verhältnissen gegenüber treten die IN ihnen sich entwickelnden SUBJEKTIVEN Stellungen der Leute, die in diesen Verhältnissen leben und sie, entsprechend diesen ihren Stellungen, gestalten, verändern, umstürzen... oder erhalten, gegen alle Widerstände. Es sind dabei ihre subjektive Zielsetzung oder gar Wunsch-Horizonte abzugrenzen von dem, was sie für möglich, ja überhaupt erwägenswert und denkbar halten. Und dabei darf die Mehrheit (zumindest der "Zuständigen") nicht komplett Fehlurteilen unterliegen; eine Gesellschaft, die ihre Verhältnisse nicht einigermassen, zumindest als funktionell Zuständige, im bezug auf die massgeblichen Teile dieser Verhältnisse, beherrscht und bejaht, hat ihre Produktionsweise bereits verloren und befindet sich mehr oder weniger in Auflösung. Von wegen (ironisch dem Vorbild nachgestaltet: Vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun): Sie wissen es nicht, aber sie tun es. Sie, zumindest die Massgeblichen, MÜSSEN es wissen, was sie da tun. Wenn die Nebenfolgen (s.o,) den Regierenden und Zuständigen (Funktionseliten) bzw Gestaltenden entgleiten, sind sie die längste Zeit Regierung, Zuständige, Gestalter gewesen.

Die Geschichte ist also nicht nur Produktivkraftgeschichte, mitsamt vorübergehend stabiler oder gelingender Vergesellschaftungsweise, immer wieder aber auch konflikthafter Klassenkampfgeschichte ("Geschichte eine Abfolge von Klassenkämpfen"); sondern sie ist, drittens, wesentlich auch kollektive Lern- und Bildungsgeschichte - wenn auch vielfältig in sich abgestuft. Diese Bildungsgeschichte ist mit der materiellen und Kooperations-Geschichte aufs engste verflochten; wehe, wenn die Stränge dieses Geflechts aufspleissen; wehe wenn die Synergien, die auf Dauer eine Epoche und ihre Aufgaben wie Lösungen ermöglichen, sich auflösen und nichts mehr zusammenpasst (oder schlimmer: es widerspricht sich nur noch; maW die Konflikte in den Köpfen und zwischen ihnen nehmen zu...)
Dann spätestens steht ein Epochenübergang an.
Im Unterschied zur gesamten linken Geschichte der letzten 200 Jahre stehen wir an einem solchen.
Und das... macht einen GEWALTIGEN Unterschied.

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*) die dadurch Teil des Welt-Kapitals und seiner Akkumulation ist oder jederzeit werden kann (soweit der jeweilige Staat solches Teil-Werden zulässt)
**) nicht, solange bürgerliche Nationalstaaten die höchste Stufe der Vergesellschaftung auf und in ihren jeweiligen Territorien (auf dem Niveau mehr oder weniger fortgeschrittener Industriegeselslchaften) darstellen (also Teil der Produktionsweise sind, der "Basis"); und die zivilgesellschaftliche "Öffentlichkeit" ein bloss untergeordnetes Moment davon bzw davon determinierter "Überbau".
***) der Vorgang der beständigen Aufrechterhaltung und Neuanpassung der "Gesellschaftlichkeit" also konfliktfreien Arbeits- und Wissensteiligkeit "der Gesellschaft", wird von mir (aktuelle Art der) VERGESELLSCHAFTUNG genannt. Damit ist also nicht die Verstaatlichung von Betrieben gemeint.

Re: Zur Frage: Ist die traditionelle Links-rechts-Unterscheidung überholt?

Verfasst: 07.01.2024, 12:54
von Guido
Hier mal in Kurzform eine Beschreibung was für mich politisch links bzw. rechts bedeutet.

links = für die Gleichwertigkeit aller Menschen und somit gegen Ausbeutung und Unterdrückung von Menschen durch Menschen zu sein.

rechts = die althergebrachten Verhältnisse der (ökonomischen) Ungleichwertigkeit von Menschen beibehalten zu wollen, also (wissentlich oder unwissentlich) für Ausbeutung und Unterdrückung, sprich: Den allgegenwärtigen Kapitalismus zu sein.