Demokratie und RechtRe: Jochen Mitschka: Ist Gewalt die Rettung des Grundgesetzes?

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willi uebelherr
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Re: Jochen Mitschka: Ist Gewalt die Rettung des Grundgesetzes?

Beitrag von willi uebelherr »

Ist Gewalt die Rettung des Grundgesetzes?
Jochen Mitschka, 09.12.2021
https://apolut.net/ist-gewalt-die-rettu ... -mitschka/

geschrieben fuer Debattenraum.eu und fb-gruppen

Lieber Jochen,

meinen grossen dank fuer deinen Text. Aber das Wesentliche auf diesem Weg fehlt: Die Selbstorganisation der Bevoelkerungen fuer ihre Oekonomie.

Die Oekonomie wird immer das Primat bleiben. Und, in der Art, wie die Oekonomie organisiert wird, entsteht der politische Ueberbau. Daraus folgt notwendig, wenn die Oekonomie privat organisiert wird, dann braucht sie einen Staatsapparat, der die private Organisation gegen die Bevoelkerung schuetzt. Und weil dieser Staatsapparat immer parasitaer ist, kann er nur von denen gestaltet werden, die es vermoegen, ihn zu unterhalten. Jetzt unabhaengig davon, woher sie sich dieses Vermoegen holen.

Alle elitaeren Herrschaftstrukturen ruhen auf der Zerstoerung der lokalen oekonomischen Unabhaengigkeit. Auch die Konzentration in den Staedten ist nur diesem Zweck geschuldet.

Daneben gibt es eine weitere Treibkraft. Alle elitaeren Herrschaftsstrukturen ruhen auf dem Prozess der Zentralisierung.

Das sind so die generellen Bedingungen sowohl fuer eine elitaere Herrschaft wie, in der Negation, fuer eine demokratische Selbstorganisation der Bevoelkerung. Demokratie und Staat zusammen geht nicht. Die Konstruktion staatlicher Apparate, ruhend auf dem roemischen Staatsrecht, hat eine wesentliche Grundlage: Von den Eliten, fuer die Eliten, gegen die Bevoelkerung. Das war die Basis fuer Cicero und Machiavelli. Das ist auch die Basis fuer die oesterreichische Schule fuer Oekonomie.

Wenn wir uns fuer eine Demokratie entscheiden, muessen wir uns gegen einen Staat entscheiden. Schon an dieser Stelle stossen wir auf grosse Schwierigkeiten, weil die staatlichen Konstrukte das parasitaere Dasein zu ihrer Existenzform erheben.

Noch groesser werden die Schwierigkeiten, insbesondere in den hoch zentrierten, industriell organisierten Regionen, wenn es um die Selbstermaechtigung zur Selbstorganisation lokaler und lokal-regionaler Oekonomien geht.

Fuer mich ist die Asymetrie der Gewaltpotentiale Staat gegen Bevoelkerung eher eine Frage der Technologie. Die Asymetrie des Unterstuetzungspotentials der "Massen" fuer Staat oder Widerstand und Selbstermaechtigung ist von einer nachvollziehbaren positiven Perspektive abhaengig. Das gilt vor allem fuer erfolgreiche Subversionsakte, gegen etwas und/oder fuer etwas.

Es macht keinen Sinn, unbewaffnet und wehrlos sich einer Meute von Gewaltakteuren der Staatsapparate in den Weg zu stellen. Wenn unsere Kraefte klein sind, muessen auch die Aktionen klein gehalten werden. Aber immer mit der Vorbedingung, staerker wie unser konkreter Gegner zu sein.

Das fuehrt notwendig zu einer hohen Parallelitaet und extremen Dezentralisierung. Und genau das ist auch das Kennzeichen unserer Strategie im oekonomischen.

Elitaere Herrschaftsstrukturen brauchen die Zentralisierung zur Monopolisierung. Wir brauchen die Dezentralisierung zur Demonopolisierung, also zur Vielfalt lokal souverener Einheiten.

ps: Ich kann auf apolut.net nicht schreiben, weil ich da gesperrt bin wie vorher bei KenFm.

mit lieben gruessen, willi
Asuncion, Paraguay


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willi uebelherr
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Re: Jochen Mitschka: Ist Gewalt die Rettung des Grundgesetzes?

Beitrag von willi uebelherr »

die Antwort von Jochen Mitschka 9.12.2021 17:55:

Hallo Willi,

worüber ich geschrieben habe, ist der Weg zur Voraussetzung über endgültige Ziele der Demokratie zu verhandeln. Du beschreibst ein End-Ziel. Zuerst müssen wir uns auf den Weg einigen und die Voraussetzungen schaffen, damit wir ein Ziel erreichen, welches nicht durch eine sich selbst ermächtigende Elite vorgeschrieben wird. Und damit wir überhaupt in die Situation kommen, uns dann über das endgültige Ziel zu einigen, müssen wir zulassen, dass alle, die gegen die elitäre Herrschaft einig sind, sich nicht schon über das endgültige Ziel streiten, bevor überhaupt die Möglichkeit besteht, dieses zu erreichen.

Wir brauchen Werkzeuge, um Schritt für Schritt die Verhältnisse zu erkämpfen, die wir benötigen, um das beschriebene Ziel zu erreichen, .... oder eine andere Form der selbstbestimmten Demokratie, auf die sich in einem konsensualen Verfahren informierte und selbstbestimmte Menschen einigen.

Viele Grüße Jochen


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willi uebelherr
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Re: Jochen Mitschka: Ist Gewalt die Rettung des Grundgesetzes?

Beitrag von willi uebelherr »

darauf meine Antwort 9.12.2021 19:57:

Lieber Jochen,

ich habe mich nun doch dazu entschieden, meine Antwort an alle Empfaenger meiner email zu senden. Das Thema ist mir zu wichtig, um es in einem privaten Austausch im Sande verlaufen zu lassen.

Ich gebe dir darin Recht, dass wir nur in Schritten aus der Tragoedie herauskommen. Nur, ohne eine weite Perspektive oder Vision wird das nichts. Dann fehlt die Orientierung in den einzelnen Phasen.

Unsere Gegner wissen sehr genau, wie wichtig diese Offenheit ist und handeln danach. Bei den Kritikern der geplanten Transformationen sieht es oft leider ganz anders aus.

Und eines habe ich gelernt. Ohne die weite Perspektive gibt es fuer die Menschen keinen Grund, sich von dem Gewohnten abzuwenden und eventuell Risiken einzugehen. Die Menschen verstehen sehr gut ihre hoffnungslose Lage, eingezwaengt in diese gewaltigen Macht-Blasen, und sehen kein Licht am Ende des Tunnels. Das aendert sich sofort, wenn Perspektiven entstehen, die weit ueber das Heute hinausreichen.

Die Entwicklung der lokalen Oekonomien im Norden der iberischen Halbinsel in den 1920er und 1930er Jahren entstand aus dem Wunsch nach Selbstorganisation zur Stabilisierung ihrer materiellen Lebensgrundlagen. Aehnliches geschah schon 100 Jahre vorher, ab 1812 in Paraguay. Immer die schrittweise Entfaltung lokaler Oekonomien, die erst die Grundlage fuer souveraenes politisches Handeln schafften.

Der Fluch der Moderne, die ich im wesentlichen als den Prozess der Entmuendigung der Bevoelkerungen verstehe, weil sie mit zentralisierten und zentralisierenden Apparaten ueberhaeuft wurde, die den Basen schlichtweg die Luft zum Atmen entzog, zeigt uns die groben Linien in unserer Geschichte.

".. sich nicht schon über das endgültige Ziel streiten, bevor überhaupt die Möglichkeit besteht, dieses zu erreichen .."

Dieses "endgueltige Ziel" gibt es nicht, weil die Menschen in allen Regionen ihre Besonderheiten haben, wie sie die Stabilitaet ihrer materiellen Lebensgrundlagen realisieren. Die generelle Methode ist die radikale Dezentralisierung, damit ueberhaupt ein Raum lokaler Selbstorganisation vorhanden ist. Und immer dort, wo diese lokale Selbstorganisation noch vorhanden ist, ruht sie auf einem hohen Niveau der lokalen Oekonomie.

Nur in der Frage der Technologien und ihrer Anwendung gibt es den Mangel, den wir uber ein globales Netzwerk fuer freie Technologie ueberwinden koennen, weil wir uns so allen privaten Eigentumsanspruechen auf Wissen (Urheber-, Patent- und Lizenz-Recht) entziehen koennen. Wir kommen damit zu "global denken, lokal handeln", weil die theoretischen Grundlagen, die Gesetze der Natur, global und universal gueltig sind, waehrend die Materialisierung lokal und lokal-regional stattfindet, und zu: Wissen ist immer Erbe der Menschheit.

Das setzt natuerlich voraus, dass wir keine individuellen Ansprueche auf die Entwicklung in anderen Regionen geltend machen, sondern global frei kooperieren, wenn es um Wissen und Erfahrung geht, also um immaterielles.

"Wir brauchen Werkzeuge, um Schritt für Schritt die Verhältnisse zu erkämpfen, die wir benötigen, .."

Die sind doch schon alle da. Wir muessen sie nur anwenden. Und die reiche Erfahrung der menschlichen Familie zeigt es uns doch. Das Problem liegt doch viel tiefer.

So viele "freie Geister" denken, das Wasser kommt aus dem Wasserhahn und die elektrische Energie aus der Steckdose und Fruechte und Gemuese und Getreide aus dem Supermarkt. Aber wie das alles aus der Erde kommt oder dorthin wieder zurueckkehrt, das wissen sie nicht.

Jetzt zu den "freien Geistern". Damit hat sich Immanuel Kant sein ganzes Leben beschaeftigt und keine Antwort gefunden aus seiner Existenzform. Aber er hat folgendes erkannt.

Mit unserem koerper sind wir streng den Gesetzen der Natur unterworfen und wenn wir uns daran nicht halten, dann wartet die Kiste oder der Ofen. Wir haben also eine klare Referenz.
Und unser Geist? Er ist scheinbar frei. Er hat keine Referenz. Wir koennen also mit ihm jeden Schwachsinn zur Wahrheit erklaeren. Kant hat uns vorgeschlagen, deshalb unserem Geist selbst mit der Vernunft, der Rationalitaet und der Logik diese Referenz zu schaffen.

Das ist eigentlich das ganze Problem, was wir haben. Das sehen wir schon daran, dass die 3 wichtigsten Gruppen, die jede Gesellschaft tragen, die Landwirtschaft, das Handwerk und die Technik, auf dem untersten Niveau gesellschaftlicher Anerkennung stehen, waehrend die parasitaeren Existenzformen auf den hoechsten Ebenen sich ansiedeln.

Ich will nochmals darauf hinweisen, dass wir unseren Blick immer zuerst auf die Oekonomie konzentrieren muessen. Das politische entsteht daraus. Es kommt also darauf an, wie wir unsere Oekonomie organisieren wollen.

Auf einem oekonomischen Unterbau, der vollstaendig privat, anti-demokratisch und autoritaer gebaut ist, kann niemals eine politische Demokratie entstehen. Davon spricht Heinz-Josef Bontrup schon lange.

mit lieben gruessen, willi
Asuncion, Paraguay

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