Demokratie und RechtStockholm Syndrom und Demokratie


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Benutzer 155 gelöscht

Stockholm Syndrom und Demokratie

Beitrag von Benutzer 155 gelöscht »

These:
Repräsentative Demokratie hat es bisher noch nicht gegeben.

Ich habe die überraschende Erfahrung gemacht, dass es (bisher) kategorisch niemanden interessiert, ob die neuzeitliche Menschheit (seit 1800 etwa) repräsentative Demokratie wirklich umgesetzt und praktiziert hat, oder nicht.
Aber es gibt dutzende Abhandlungen über den Verfall der Demokratie, und wie man sie ersetzen sollte (u.a. mit Verlosung, etc.).

Ich möchte gerne hören, ob die Frage, ob wir jemals Demokratie hatten, wesentlich ist oder nicht.
Wenn Nein, warum?
Wenn Ja, was wären die Konsequenzen einer negativen Antwort?


scilla
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Re: Stockholm Syndrom und Demokratie

Beitrag von scilla »

in Westdeutschland gab es eine Demokratie von Mitte der 70er an bis Ende der 80er

1) 1974 ist Willi Brandt wegen einer Lappalie zurückgetreten

2) in den 70ern dominierte der kleine Filmverlag der Autoren das westdeutsche Kino
und wurde weltweit beachtet

3) in den späten 70ern hat sich mit den GRÜNEN erfolgreich eine neue Partei formiert,
welche Systemfehler (fehlender Umweltschutz, fehlendes Matriarchat, fehlender Pazifismus, fehlende Nachhaltigkeit in der Atomkraft) angehen wollte

4) in den frühen 1980ern dominierten die kleinen Schallplattenfirmen über die großen
(ohne CD, welche billig hergestellt, aber teuer verkauft wurde, hätten die großen Plattenfirmen die 80er nicht überlebt)

5) ab Mitte der 80er dominierte die alternative Jugend über die systemtreuen Popper und BWLer
(danach verblödete allerdings die Techno-Bewegung)

6) Oskar Lafontaine scheiterte 1990 knapp an den Ostdeutschen
die Westdeutschen hätten sonst einer Umwandlung der 'Sozialen Marktwirtschaft' in eine 'Ökologische Marktwirtschaft' zugestimmt
Zuletzt geändert von scilla am 11.06.2020, 11:18, insgesamt 2-mal geändert.


scilla
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Re: Stockholm Syndrom und Demokratie

Beitrag von scilla »

im Zeitraum von 1990 an bis 2020 ging es bergab
und 2020 wurde die Demokratie verlassen


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Benutzer 155 gelöscht

Re: Stockholm Syndrom und Demokratie

Beitrag von Benutzer 155 gelöscht »

SIe haben eine These aufgestellt. Als Stütze haben Sie einige Ereignisse genannt.

Die sind aber leider keine Belege für die These, weil (wie ich anderswo schon bemerkt habe!) was Sie als Demokratie beurteilen, auch etwas ganz anderes gewesen sein könnte.

Wir reden von verschiedenen Dingen, und ... da meine These original ist (den Begriff "original" verwende ich mit Selbstironie, und lehne mich an den Gebrauch des Worts in den USA an), können Sie nicht wissen, welche Gedankenwelt damit verbunden ist.

Ich hoffe aber, dass Sie neugierig sind (mit sich selbst. Es geht mir weniger um die Interaktion).

Ich stelle eine Behauptung auf:
Das einzige Land, das jemals der Demokratie nahe war, ist Deutschland. Es war aber eine zufällige Nähe, und das reicht nicht aus. (Sie muss bewusst und gewollt sein).
Und es war vor dem zweiten Weltkrieg und vor Hitler.

Kein anderes Volk kam repräsentativer Demokratie jemals näher.

Da seit Jahrhunderten eine starke treibende Kraft auf das Weltgeschehen Einfluss nehmen will und inzwischen das Geschehen bestimmt, bedeutet Demokratie für mich, dass selbstbestimmende Völker ein Selbstverwaltungssystem benutzen, dass ihnen die Selbstbestimmung in sehr grossem Masse zusichert.
Technisch gab es aber nie und nirgendwo einen Mechanismus, der gewählte Volksvertreter an die Wählerschaft bindet.


willi uebelherr
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Re: Stockholm Syndrom und Demokratie

Beitrag von willi uebelherr »

Lieber [mention]caspiat[/mention] und [mention]scilla[/mention] und alle,

ihr haengt euch beide sehr gefaehrlich aus dem fenster. Es kann kein Staatsgebilde geben, das Demokratie genannt werden kann, weil Demokratie Mit Staat nicht vereinbar ist.

Und Caspiat bemueht sich um die "repraesentative Demokratie"? Die Demokratie laesst keine Repraesentation zu und die Repraesentation keine Demokratie. Egal, mit welchen Gewuerzen ihr es anreichert oder mit welchen Farben ihr es beschmiert.

Was ich hier lese sind infantile Vorstellungen, die ueberhaupt nichts mit realer erfahrung zu tun haben und eine begrifflichkeit vorlegt, die jeder Strenge der Begrifflichkeit Hohn spricht.

Ich habe mich herausgehalten aus der debatte, weil mir nicht klar war, was nun als Stockholm-Syndrom gedacht war. Hier, nicht im Spiegen oder der Springerpresse. Aber wenn es dann um die Aufloesung von klaren begriffen geht, will ich "interagieren", auch wenn Caspiat solches nicht will.


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Benutzer 155 gelöscht

Re: Stockholm Syndrom und Demokratie

Beitrag von Benutzer 155 gelöscht »

willi uebelherr hat geschrieben:
11.06.2020, 18:15
Es kann kein Staatsgebilde geben, das Demokratie genannt werden kann, weil Demokratie Mit Staat nicht vereinbar ist.
Hallo Willi,
ich hatte gestern nur wenig mitgelesen, und könnte mich täuschen. Sie wohnen in Lateinamerika? (Ich auch).

Im Laufe der Zeit (es hat sehr viele Jahre gedauert), und eigentlich eher, weil mir selber immer weniger Zeit zur Verfügung steht, habe ich gelernt, auf Schleifen und Gefunzel zu verzichten, und offen zur Sache zu kommen.
Das mache ich jetzt, und ich warn vorneweg, dass ich nicht an Überheblichkeit leide, und kein Geltungsbedürfnis habe. (Ich trage Depressionen mit mir herum, bin Nihilist, und öffne mein Maul nur deswegen, weil ich wirklich etwas Neues zu sagen habe!)

Ich habe einen Satz von Ihnen hervorgehoben.
Darf ich annehmen, dass der Satz, d.h. die Behauptung, nicht von Ihnen ist, sondern mehrfach in die Welt von vielen anderen gesetzt wurde?
Die Annahme mache ich, um Sie zu entlasten.

Ich verstehe einigermassen gut, was damit gemeint ist. Und ich verstehe auch einigermassen die Gründe, warum man das sagt.

Ich muss aber, weil ich ich bin, dazu anmerken, dass in Wirklichkeit der Satz eigentlich auch etwas anderes bedeutet:
Wer ihn formuliert hat, und wer ihn in Varianten wiederholt, kann sich einen Kompromiss nicht vorstellen.
Ich wiederhole das: Der Satz ist ein Bekenntnis: Ich kann mir Staat und Demokratie zusammen nicht vorstellen!

Damit haben Sie einen Verzicht ausgesprochen.
Und das merkwürdige ist, dass ausgerechnet ein Nihilist Ihnen widerspricht!

Ich (der Nihilist) kann es mir dagegen ziemlich gut vorstellen!
Ich habe dazu mehrere Jahre gebraucht, und ich habe wirklich kein Problem damit, es Paradigma oder Doktrin zu nennen.

Ihr Satz gehört auch zu einer Doktrin. Zu einer, die feststellt, dass nach Athen der Antike eine Selbstbestimmung der Völker unmoglich ist, und nicht die Summe des Willens der Einzelnen zählt, sondern das Gewicht der Guthaben, und wie man sie einsetzt.
Auch hier fasse ich zusammen: Demokratie in unerreichbare Ferne zu stellen passt zum neoliberalen Globalisierungstrieb.

Es gibt also eine Doktrin, die sich als solche nicht erkenntlich macht, und dagegen versucht, sich als Wirklichkeitsimmanent darzustellen, und den Völkern die Demokratie abspricht.

Und es gibt eine Doktrin, die ein nichtssagender Mensch ohne Ambitionen ausgearbeitet hat, die das Gegenteil behauptet.

Wir sind uns in einem einig (und das ist mein Thema): Wir haben de facto keine Demokratie!

Ich vermute, Sie hatten nicht erwartet, dass ich Sie am Ende dahin führe, wo wir einverstanden sind.

Und ich gehe sogar ein Stück weiter, und begleite Sie teilweise mit in die Behauptung: Ganz sicher ist das, was wir Staat nennen, mit dem, was wir als Demokratie bezeichnen (und wovon wir wissen, dass es nicht da ist) nicht vereinbar.

Warum ich mit Ihnen diskutiere ist, weil etwas machbar ist, was Sie für nicht machbar halten. Und es ist ohne viel Aufwand erreichbar.
Es ist kein Endziel, sondern ein Startpunkt.
Technisch gesehen, ist wenig nötig um mit wenigen "Lappaliösen" Änderungen am Wahlgesetz eine Neuigkeit einzuführen, die man Repräsentationsbindung nennen könnte.
Wenn man es bewusst tut, erschwert sich sich Lobbysmus und das Dienen anderer Herren immens.
Man kann das wirklich Demokratie nennen, und durch die Machtumstellung würde automatisch der Staat im Laufe der Zeit der Selbstbestimmung angepasst.

Ich weiss nicht ob Sie mich verstehen, aber "Ihr" "Staat" ist das Resultat von mehreren Jahrhunderten Optimierung an Oligarchie, die sich hält, weil man die Völker ins Leere wählen lässt.


scilla
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Re: Stockholm Syndrom und Demokratie

Beitrag von scilla »

willi uebelherr hat geschrieben:
11.06.2020, 18:15
Es kann kein Staatsgebilde geben, das Demokratie genannt werden kann, weil Demokratie Mit Staat nicht vereinbar ist.
verstehe ich nicht

man kann einen Staat föderal organisieren,
so daß die Bundesländer ihrer Mentalität entsprechend anders sein dürfen

man kann einen Staat soweit begrenzen,
daß dieser nur die Rahmenbedingungen setzt,
innerhalb derer dann die Länder, die Bürger frei entscheiden

man kann in den Staatsmedien darüber informieren,
wie über bestimmte Themen diskutiert wird,
so daß sich die Bürger eine Meinung bilden können

man kann die Bürger regelmäßig darüber entscheiden lassen,
welche Volksvertreter den Staat repräsentieren

man kann eine Gewaltenteilung festschreiben
damit der Staat nicht gleichgeschaltet werden kann

man kann die Vergütung der Staatsbediensteten so weit absenken,
daß sich nur ehrliche Menschen dafür melden
(man kann die Strafen gegen Korruption, Lobbyismus und Vetternwirtschaft so hoch setzen,
daß sich die Bereicherer eine andere Branche suchen)

man kann die Staatsorgane so gut ausstatten,
daß sie ihrer Aufgaben nachkommen können

man kann gezielt Wissenschaften darauf ansetzen,
zu analysieren, was der Staat tun sollte,
und deren vorher-nachher-Untersuchungen veröffentlichen


Deutschland ist von der Idee her eine gute Gesellschaftsform

der Philosophenkönig ist der Bundespräsident
die Besten sind die Bundesversammlung
das Volk ist das Parlament

DEM DEUTSCHEN VOLKE steht auf dem Reichstag
Zuletzt geändert von scilla am 13.06.2020, 12:57, insgesamt 2-mal geändert.


scilla
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Re: Stockholm Syndrom und Demokratie

Beitrag von scilla »

caspiat hat geschrieben:
12.06.2020, 03:11
weil man die Völker ins Leere wählen lässt.
also auch durch die LINKE,
obwohl diese Partei nach außen hin doch das Gute will


scilla
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Re: Stockholm Syndrom und Demokratie

Beitrag von scilla »

scilla hat geschrieben:
13.06.2020, 12:48

man kann einen Staat föderal organisieren,
so daß die Bundesländer ihrer Mentalität entsprechend anders sein dürfen

man kann einen Staat soweit begrenzen,
daß dieser nur die Rahmenbedingungen setzt,
innerhalb derer dann die Länder, die Bürger frei entscheiden

man kann in den Staatsmedien darüber informieren,
wie über bestimmte Themen diskutiert wird,
so daß sich die Bürger eine Meinung bilden können

man kann die Bürger regelmäßig darüber entscheiden lassen,
welche Volksvertreter den Staat repräsentieren

man kann eine Gewaltenteilung festschreiben
damit der Staat nicht gleichgeschaltet werden kann

man kann die Vergütung der Staatsbediensteten so weit absenken,
daß sich nur ehrliche Menschen dafür melden
(man kann die Strafen gegen Korruption, Lobbyismus und Vetternwirtschaft so hoch setzen,
daß sich die Bereicherer eine andere Branche suchen)

man kann die Staatsorgane so gut ausstatten,
daß sie ihrer Aufgaben nachkommen können

man kann gezielt Wissenschaften darauf ansetzen,
zu analysieren, was der Staat tun sollte,
und deren vorher-nachher-Untersuchungen veröffentlichen
man kann das Recht auf Widerstand in die Verfassung aufnehmen,
um sicherzustellen, daß dann, wenn im demokratischen Staat obige Stricke reißen sollten,
mutige Menschen die Sache in die Hand nehmen können


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Benutzer 155 gelöscht

Re: Stockholm Syndrom und Demokratie

Beitrag von Benutzer 155 gelöscht »

Vielleicht kann man es besser und genauer beschreiben, als ich es gleich tun werde, aber ich versuche es mal:

Wenn ich mir ein paar linke Regierungen weltweit anschaue, sehe ich eigentlich null Bestreben, das Finanzsystem abzubauen, oder von der macht abzuhängen (den letzteren Begriff verwende nur ich, weil ich eine Strategie vorschlage, die das bewirkt).

Es geht meist eher darum, dass Steuergelder nicht "neoliberal" angewendet werden.
Das klingt banal, ist aber die "höchste Idee" zu der Parteibonzen fähig sind.

Hugo Chavez hat im eigenen Interesse (Machtkonsolidierung) massiv Assistentialismus betrieben. Lula ebenfalls. Strukturell hat Chavez brachial abgebaut.
In China geht es darum, dass die Regierung sicher kontrolliert und fähig ist, immense Projekte zu führen.
In Mexiko scheint der Begriff Neoliberalismus Unternehmen zu meinen (statt Banken), und das Ziel ist eindeutig, Mammutprojekte durchführen zu können (und keineswegs Arbeitsplätze während der Krise zu sichern).
Putin hat zum Glück mehr Hirn, und scheint auch zu wissen, wovor er sich in acht nehmen muss (ich lasse mal aus, dass ihm Menschenrechte egal sind). Ich sehe aber reine Absicherung bei ihm, und nichts, was den Druck der Finanzelite schwächt.

Die Linke in Deutschland ist nicht einfach zu definieren, weil sie vermutlich keineswegs homogen ist. Die populären Exponenten (denen sie Ihre Wählerstimmen verdankt) haben eher eine Art Gewerkschaftliche Politik im Sinn, um innerhalb des Kapitalismus soziale Rechte zu festigen (von Ausbauen ist mir nichts aufgefallen). Weniger sichtbare, aber sicher nicht weniger bestimmende linke Politiker dagegen würden viel weiter gehen, ohne aber verstanden zu haben, dass isolierende Nationalpolitik wie sie im Kommunismus betrieben wurde, nur ein Abwürgen der eigenen Ressourcen und Möglichkeiten bedeutet.

Ich fasse es mit einem weiteren Beispiel zusammen:
Die Fünf Sterne Bewegung war einmal gegen das System.
Sie hat sich aber nie das Ziel gesetzt, einen Weg zu finden, um das System umzubauen, bzw. die treibende Kraft hinter dem System abzuhängen.
Und darum hat sie einen 180 Grad Schwenker gemacht, und hat dann auch noch die Von Der Leyen gewählt., und kürzlich auch noch eine der übrigen sturen Ansisystemer in den eigenen Reihen (die Abgeordnete Cunial) rausgeworfen.

Soziale Politik ist nicht systemgefährdend. Wie Italien beweist, kann sie sogar systemstützend sein.

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