Demokratie und RechtacTVism, Peter Seyferth: Was ist Anarchismus?

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willi uebelherr
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acTVism, Peter Seyferth: Was ist Anarchismus?

Beitrag von willi uebelherr »

Was ist Anarchismus? Die Geschichte & Philosophie des Anarchismus
Peter Seyferth, Muenchen, 20.05.2020
https://www.actvism.org/politics/anarch ... -seyferth/

Liebe freunde,

das ist doch mal ein richtig gutes Thema. Peter Seyferth ist ja ein sehr lockerer Freund, der aus der Pank-Bewegung kommt und sich selbst als Anarchist bezeichnet mit der speziellen Erweiterung "gewaltfrei".

Eines faellt auch hier wieder auf. Die Oekonomie wird weitestgehend ausgespart. Und das, obwohl sie immer unsere existenzielle Basis ist. Wir koennen die anarchistischen Grundideen nur verstehen, wenn wir uns der demokratischen Selbstorganisation der Oekonomie zuwenden wollen.

"Geschwaetz macht uns nicht satt und bringt kein Essen her." Das kennen wir von Bertholt Brecht und es scheint so, dass uns diese einfache Erkenntnis schwerer faellt wie wilde historische Verlaeufe zu verfolgen.

Ich kann es ja verstehen, weil die Erfahrung uns lehrt, dass aufgeplustertes und theatrales Geschwaetz mehr Respekt und Achtung erfaehrt wie die strenge Logik in Bezug auf unsere existenziellen Lebensgrundlagen.

Im Thema Corona-Panik-Theater sehen wir es heute taeglich wieder. Vorher beim Klima-Panik-Theater und ganz besonders beim 9/11-Panik-Theater. Das gemeinsame: Viel Rauch um Nichts.

mit lieben gruessen, willi
Asuncion, Paraguay


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willi uebelherr
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Re: acTVism, Peter Seyferth: Was ist Anarchismus?

Beitrag von willi uebelherr »

Liebe freunde, die Antwort von Peter Seyferth.
Die email-adressen sind alle oeffentlich erreichbar.
mit lieben gruessen, willi

-------- Weitergeleitete Nachricht --------
Betreff: Re: acTVism, Peter Seyferth: Was ist Anarchismus?
Datum: Fri, 22 May 2020 11:42:38 +0200
Von: Dr. Peter Seyferth <peter.seyferth@gimuenchen.de>
An: willi uebelherr <willi.uebelherr@gmx.de>
Kopie (CC): Der Aufstand <gdg-deraufstand-abo@wihuman.de>, acTVism <info@acTVism.org>

Liebe Freunde von Willi Übelherr,

aus irgendeinem Grund ist die untenstehende Nachricht auch an mich gerichtet worden. Da es darin um mein Video geht, erlaube ich mir, zu antworten.

In meinem Video geht es um die Definition, Geschichte und Bewertung des Anarchismus. Es geht darin nicht um andere Themen, daher sollte niemand enttäuscht sein, dass diese anderen Themen darin nicht behandelt werden. Ich bin der Ansicht, dass die Ökonomie zwar wichtig ist, aber sie ist nicht das einzig Wichtige, das es gibt, und sie ist auch nicht das Wichtigste, das es gibt. Ich halte unsere Umwelt für unsere existenzielle Basis. Dazu gehören u.a. die Natur, die Machtbeziehungen, die wirtschaftlichen Beziehungen, die kulturellen Verständnisse, die geographischen und architektonischen Räume und viel mehr. Zu sagen, dass es nur auf die Ökonomie ankäme – oder dass man den Anarchismus nur verstehen könnte, wenn wir uns der demokratischen Selbstorganisation der Ökonomie zuwenden –, halte ich für falsch. Das ist ein Reduktionismus, den ich vor allem bei Marxisten und Neoliberalen entdecke. Die haben kaum etwas miteinander zu tun, aber eine Grundüberzeugung teilen sie: dass es letztlich nur auf die Ökonomie ankommt. Ich halte diese Grundüberzeugung für falsch, auch wenn sie weit verbreitet ist.

Richtig ist freilich, dass es im Anarchismus auf Herrschaftsfreiheit ankommt, und dass die Wirtschaft ein Gebiet (von vielen) ist, in dem derzeit extreme Machtunterschiede brutale Ausbeutung und Unterdrückung ermöglichen, ja sogar systematisch erzwingen. Daher haben Anarchisten auch stets die ökonomischen Beziehungen kritisiert und Gegenvorschläge gemacht, wie die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Menschen besser, insbesondere also: herrschaftsfreier befriedigt werden können. Darauf gehe ich auch kurz in dem Video ein (wenn ich zwischen den mutualistischen, kollektivistischen und kommunistischen Anarchismusvarianten Proudhons, Bakunins und Kropotkins differenziere). Das ist nicht mein Hauptthema, daher behandle ich es kurz. Zu behaupten, ich würde die Ökonomie weitestgehend auslassen, ist aber nicht zutreffend.

Wer von mir etwas über die demokratische (eigentlich: anarchistische) Selbstorganisation der Ökonomie hören will, soll sich halt ein Video anschauen, in dem ich dieses Thema behandle. Aktuell gäbe es da z.B. meine Darstellung von Parecon (https://tube.switch.ch/videos/496070c0 <https://tube.switch.ch/videos/496070c0>). Ich suche mir schon aus, worüber ich rede. Dass ich über mehr Themen spreche als nur Ökonomie mag denjenigen nicht passen, die nur etwas über Ökonomie hören wollen. Das veranlasst mich aber nicht, deren Scheuklappen aufzusetzen. Ich glaube sogar, dass es schädlich ist, nur auf die Ökonomie zu schauen. »Sich vollfressen hat noch niemanden klug gemacht«, hat Bertolt Brecht nie gesagt. Trotzdem stimmt es.

Das Geschwätz der Ökonomen, das meist auf axiomatischen Annahmen beruht (sowohl im Marxismus als auch in der Neoklassik, auch wenn da sehr unterschiedliche Grundannahmen verwendet werden), kann durchaus in logischer Form auftreten. Oft ist es logisch-formelhaft und mathematisch. Es ist aber auch sehr empirieresistent, so wie jede axiomatische formale Logik. Ökonomen tun sich schwer damit, etwas Zutreffendes über die reale Welt auszusagen, da sie sich auf einen bestimmten Ausschnitt der Welt konzentrieren und sich meist weigern, die Existenz anderer Ausschnitte und anderer gültiger Perspektiven anzuerkennen. Die Konzentration auf einen bestimmten Ausschnitt kann sehr fruchtbar sein, da man dabei durchaus Interessantes herausfinden kann. Die gesamte moderne Wissenschaft geht so vor: Spezialisierung. Aber jeder Spezialist sollte anerkennen, dass er sich auf anderen Gebieten nicht auskennt, und dass diese anderen Gebiete trotzdem existieren und wichtig sein können. Daher rede ich über historische Verläufe (die mein Thema im Video sind), ohne zu behaupten, die Ökonomie sei unwichtig. Ökonomen hingegen tun oft so, als hätten sie die Weltformel, mit der sie auch Politik, Geschlechterbeziehungen, Ökologie, Erziehung, Stadtplanung, Geschichte usw. monokausal erklären könnten. Willi Übelherr verhält sich in seiner E-Mail wie so ein Ökonom, denn er unterstellt mir, dass ich über etwas Unwichtiges spreche, da ich nicht über sein Fachgebiet spreche. Zusätzlich unterstellt er mir, dass ich mir durch »aufgeplustertes und theatrales Geschwätz mehr Respekt und Achtung« verschaffen will.

Was er dabei aber schuldig bleibt, ist der Nachweis, dass ich irgendetwas Falsches behaupte. Im Grunde ist er nur beleidigt, dass ich seine Grundannahme, der zufolge es letztlich nur um Ökonomie geht, weshalb man nur über Ökonomie reden sollte, nicht teile. Und daher betrachte ich seine Bewertung meines Vortrags als Geschwätz. Und seid mal ehrlich: Habt Ihr alle nicht schon unendlich dummes Geschwätz von Ökonomen gehört? Von kapitalistischen, neoliberalen »Wirtschaftsweisen« genauso wie von dogmatischen, marxistischen Kommissaren? Macht Euch Euer eigenes Bild, aber setzt Euch nicht die ökonomischen Scheuklappen auf. Und wenn Ihr Euch eben für Ökonomie interessiert – dann schaut Euch Ökonomie-Videos an, keine historischen oder politischen Videos.

Mit den besten Grüßen
Peter Seyferth


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Re: acTVism, Peter Seyferth: Was ist Anarchismus?

Beitrag von willi uebelherr »

Liebe freunde, meine Antwort an Peter Seyferth.
mit lieben gruessen, willi

-------- Weitergeleitete Nachricht --------
Betreff: Re: acTVism, Peter Seyferth: Was ist Anarchismus?
Datum: Fri, 22 May 2020 15:05:17 -0400
Von: willi uebelherr <willi.uebelherr@gmx.de>
An: Peter Seyferth <peter.seyferth@gimuenchen.de>
Kopie (CC): Der Aufstand <gdg-deraufstand-abo@wihuman.de>, acTVism <info@acTVism.org>, Carolus Wimmer <..>

Lieber Peter,

ich danke dir sehr fuer deine engagierte Antwort. Und du weisst nicht, wie sehr ich dir und acTVism dankbar fuer dieses Viedeo bin. Das ist zunaechst mein Ausgangspunkt. Vielleicht ist mein Hinweis auf "aufgeplustertes und theatrales Geschwaetz" bei dir voellig falsch angekommen. Es war nicht gedacht, deinen Vortrag als solches zu erklaeren.

Ich bin sicher, dass die Freunde der Redaktion "Aufstand" unsere Debatte dort veroeffentlichen. Dafuer waere ich ihnen sehr dankbar. In dem "DebattenRaum", ehemalig "Aufstehen-Forum" und in einigen FB-gruppen werde ich meinen Beitrag selbst mit dieser Debatte als Kommentare erweitern.

Fuer mich ist diese Diskussion extrem wichtig.

Gut, der kern ist die Oekonomie, das wirtschaften. Und schon gleich von vorne stelle ich klar, dass es in der Oekonomie kein Geld gibt. Das finden wir nur im Distributionssystem, einem virtuellen Layer oben drueber, Nebelwolken artig.

Fuer mich zur Zeit gibt es nur 2 Elemente in der Oekonomie:
- Die Substanzen der Natur mit ihren inneren Gesetzen
- und unsere Zeit, die wir einbringen

Und, was noch wichtig ist. Wir produzieren nichts, wir formen nur.

Jetzt muessen wir folgende Ausgangsbedingung beruecksichtigen. Unsere Oekonomie ist primaer von den Anforderungen unserer Koeper definiert. Und diese unsere Koerper folgen streng den Gesetzen der Natur. Unser Geist, der sich so frei erwaehnt, ist unserem Koerper voellig schnurz egal. Der "freie" Geist existiert in unserem Frontallappen, eingeschlossen in ein stabiles thermisches System, versorgt von unserem Koerper, und wenn das nicht mehr funktioniert, dann wars das mit unserem "freien" Geist.

Ich weiss ja, dass die Menschen inzwischen sich mehr ihren Kopfgeburten zuwenden als ihren wirklichen natuerlichen Existenzbedingungen. Im Feld der Pseudo-oekonomien oder der vielen politischen Theorien existiert nichts anderes. So komme ich notwendig zu den 4 grossen Religionen, mit denen wir es zu tun haben:
Geldsystem, Staat, Nation und die Goetter.

Immanuel Kant hat sich sein ganzes Leben mit dieser Grundfrage beschaetigt. Unser Koerper folgt streng den Gesetzen der Natur und wenn wir uns nicht daran orientieren, dann wars das. Damit haben wir eine klare Referenz. Unser Geist hat keine Referenz. Insofern ist er frei, jeden Schwachsinn zur Wahrheit zu erklaeren. Aus diesem Grund hat I.Kant uns vorgeschlagen, verwendet die Vernunft, die Rationalitaet und die Logik, um selbst eurem Geist eine Referenz zu geben.

Das ist fuer mich der Hintergrund. Zum Ende des 19.Jahrhunderts gab es eine wichtige Diskussion zwischen Karl Marx, Friedrich Engels einer seits und andererseits Ferdinand Lasalle. Produktions- oder Konsum-Genossenschaften. Diese Debatte war fast so wichtig wie die zwischen Karl Marx und Michail Bakunin in der 1. Internationale um lokale demokratische Selbstorganisation. Karl Marx hat alles dafuer getan, diese Internationale aufzuloesen, weil die Freunde der Ideen von Bakunin in der Mehrheit waren. Und dein Hinweis ist sehr wichtig, dass diese angeblichen "Arbeiter-Repraesntanten" aus dem Grossbuergertum mit/ohne Adels-Zertifikat kamen. Andere konnten nicht uebers Wochende so einfach nach London und spaeter nach New York reisen.

Ein anderer, fast schon lustiger, Hinweis ist das problem von karl Marx mit max Stirner, auf den du ja auch verwiesen hast. Auf seinen Text "Der Einzige und sein Eigentum", etwa 30 Seiten, hat Karl Marx mit dem Text "Sankt Max" reagiert, was dann spaeter zur "deutsche ideologie" umbenannt wurde. Friedrich Engels fand den text von M.Stirner sehr gut. K.Marx war entsetzt.

Etwas aehnliches entstand spaeter mit dem text "das Recht auf Faulheit" von Paul Lafargue, Ehemann der Tochter Anna von Karl Marx. marx hatte grosse Schwierigkeiten mit den "autonomen Subjekten".

Dieser Grundkonflikt zwischen Organisation der Produktion zur Selbstversorgung oder Organisation der Waren- und Geldverteilung fuer den Konsum ist zentral und auch heute ueberall praesent. Und, jetzt ohne dich abzuwerten, frage dich selbst, was du bisher dazu beigetragen hast, dass du leben kannst und Dinge benutzen, um deinen spezifischen Lebenswandel realisieren zu koennen.

Andre Gorz hat es auf einen einfachen Nenner gebracht. Am Ende unseres Lebens brauchen wir eine mindestens ausgeglichene Balance von dem, was wir Geben und dem, was wir Nehmen. Denke immer daran, dass jedes Nehmen immer ein Geben vorraussetzt.

Ich stelle die Oekonomie, so wie ich sie definiere, an den Anfang. Hier fliessen unsere tiefen philosophischen Grundlagen ein. Das Politische folgt daraus, weil es sich nur um die Frage dreht, wie organisieren wir die Herstellung unserer materiellen Lebensgrundlagen. Und es liegt ja nahe, dass wir von Geld als bedrucktes Papier und Zahlen in datenverarbeitenden Systemen nicht leben koennen.

So komme ich letztlich zum zentralen Grundkonflikt seit tausenden Jahren: Egoismus oder Communismus.

Das, was wir erleben, ist der organierte Egoismus. Er braucht notwendig Zentralismen. Das, was wir brauchen, ist der Communismus, der notwendig eine radikale Dezentralisierung benoetigt.

Wir koennen auch den Konflikt von Karl Marx und Michail Bakunin diesem Grundkonflikt zuordnen, wobei hier fuer mich Karl Marx den organisierten Egoismus unterstuetzte, weil er auf zentralierte Apparate setzte. Du siehst dies wahrscheinlich nicht so schroff.

Die Loesung fuer mich ist die Befaehigung in allen Regionen auf unserem Planeten zur demokratischen Selbstorganisation ihrer lokalen/regionalen Oekonomie. Die Grundlage dafuer sind die Kenntnisse und das Verstehen der Gesetze der Natur, um sie gemaess unserer philosophischen Grundlagen anwenden zu koennen. Auf diesem Hintergrund formuliere ich unser Ziel:
"Die Stabilitaet unserer materiellen Lebensgrundlagen fuer Alle in allen Regionen auf unserem Planeten."

Hugo Chavez, auch ein Freund anarchistischer Ideen, weil sie ja in den indigenen Gemeinden immer existieren, beeinflusst von Kleber Ramirez, hat 3 Punkte aufgelistet, die ich in einem Dreipol angeordnet habe:

Das Ziel: Independencia o Nada (Unabhaengigkeit oder Nichts)
Die Mittel: Poder Popular o Nada (Volksmacht ..)
Comunas o Nada (Communes ..)

Die Unabhaengigkeit, die wir meist als politische Unabhaengigkeit verstehen, setzt die oekonomische Unabhaengigkeit voraus.

Poder Popular, die Volksmacht, ist das, was wir als Volkssouveraenitaet verstehen. Realisierbar nur in demokratischen Beziehungen mit radikaler Dezentralisierung. In jeder Region ist immer die Bevoelkerung der politische Souveraen. Die Verfassung von Venezuela ist die einzige, die ich kenne, die diesem Grundprinzip folgt.

Comuna, Communes, das sind lokale Lebensgemeinschaften mit ihrer eigenen, maximal unabhaengigen Oekonomie. Regionale Anforderungen werden als Verband der Gemeinden kooperativ realisiert.

Ich habe Jetzt Carolus Wimmer, der in Venezuela lebt und Sekretaer fuer internationale Angelegenheiten der PCV (Partida Comunista Venezuela) ist, im CC dazu gefuegt.

Damit treten die Kenntnisse und das Verstaendnis der Gesetze der Natur in den Vordergrund, die ja universal sind und fuer uns global gelten. Dafuer arbeite ich fuer ein globales Netzwerk fuer freie Technologie auf den beiden Prinzipien:
- global denken, lokal handeln
- Wissen ist immer Welterbe (oder Erbe der Menschheit)

Das ist fuer mich die Basis, wie wir unsere Ziele erreichen koennen. Sie zielt auf die freie Kooperation der Regionen auf unserem Planeten. Ich gehe ja davon aus, dass wir in den Zielen, Perspektiven und Visionen (nicht Utopien) uns sehr nahe sind, waehrend wir hohe Differenzen in den Realisierungs-Moeglichkeiten und -Methoden haben.

Nochmals meinen grossen Dank fuer deine Antwort und meine Bitte, wenn moeglich, diese Debatte fort zu setzen.

mit lieben gruessen, willi
Asuncion, Paraguay

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