Liebe freunde, meine Antwort an Peter Seyferth.
mit lieben gruessen, willi
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Betreff: Re: acTVism, Peter Seyferth: Was ist Anarchismus?
Datum: Fri, 22 May 2020 15:05:17 -0400
Von: willi uebelherr <
willi.uebelherr@gmx.de>
An: Peter Seyferth <
peter.seyferth@gimuenchen.de>
Kopie (CC): Der Aufstand <
gdg-deraufstand-abo@wihuman.de>, acTVism <
info@acTVism.org>, Carolus Wimmer <..>
Lieber Peter,
ich danke dir sehr fuer deine engagierte Antwort. Und du weisst nicht, wie sehr ich dir und acTVism dankbar fuer dieses Viedeo bin. Das ist zunaechst mein Ausgangspunkt. Vielleicht ist mein Hinweis auf "aufgeplustertes und theatrales Geschwaetz" bei dir voellig falsch angekommen. Es war nicht gedacht, deinen Vortrag als solches zu erklaeren.
Ich bin sicher, dass die Freunde der Redaktion "Aufstand" unsere Debatte dort veroeffentlichen. Dafuer waere ich ihnen sehr dankbar. In dem "DebattenRaum", ehemalig "Aufstehen-Forum" und in einigen FB-gruppen werde ich meinen Beitrag selbst mit dieser Debatte als Kommentare erweitern.
Fuer mich ist diese Diskussion extrem wichtig.
Gut, der kern ist die Oekonomie, das wirtschaften. Und schon gleich von vorne stelle ich klar, dass es in der Oekonomie kein Geld gibt. Das finden wir nur im Distributionssystem, einem virtuellen Layer oben drueber, Nebelwolken artig.
Fuer mich zur Zeit gibt es nur 2 Elemente in der Oekonomie:
- Die Substanzen der Natur mit ihren inneren Gesetzen
- und unsere Zeit, die wir einbringen
Und, was noch wichtig ist. Wir produzieren nichts, wir formen nur.
Jetzt muessen wir folgende Ausgangsbedingung beruecksichtigen. Unsere Oekonomie ist primaer von den Anforderungen unserer Koeper definiert. Und diese unsere Koerper folgen streng den Gesetzen der Natur. Unser Geist, der sich so frei erwaehnt, ist unserem Koerper voellig schnurz egal. Der "freie" Geist existiert in unserem Frontallappen, eingeschlossen in ein stabiles thermisches System, versorgt von unserem Koerper, und wenn das nicht mehr funktioniert, dann wars das mit unserem "freien" Geist.
Ich weiss ja, dass die Menschen inzwischen sich mehr ihren Kopfgeburten zuwenden als ihren wirklichen natuerlichen Existenzbedingungen. Im Feld der Pseudo-oekonomien oder der vielen politischen Theorien existiert nichts anderes. So komme ich notwendig zu den 4 grossen Religionen, mit denen wir es zu tun haben:
Geldsystem, Staat, Nation und die Goetter.
Immanuel Kant hat sich sein ganzes Leben mit dieser Grundfrage beschaetigt. Unser Koerper folgt streng den Gesetzen der Natur und wenn wir uns nicht daran orientieren, dann wars das. Damit haben wir eine klare Referenz. Unser Geist hat keine Referenz. Insofern ist er frei, jeden Schwachsinn zur Wahrheit zu erklaeren. Aus diesem Grund hat I.Kant uns vorgeschlagen, verwendet die Vernunft, die Rationalitaet und die Logik, um selbst eurem Geist eine Referenz zu geben.
Das ist fuer mich der Hintergrund. Zum Ende des 19.Jahrhunderts gab es eine wichtige Diskussion zwischen Karl Marx, Friedrich Engels einer seits und andererseits Ferdinand Lasalle. Produktions- oder Konsum-Genossenschaften. Diese Debatte war fast so wichtig wie die zwischen Karl Marx und Michail Bakunin in der 1. Internationale um lokale demokratische Selbstorganisation. Karl Marx hat alles dafuer getan, diese Internationale aufzuloesen, weil die Freunde der Ideen von Bakunin in der Mehrheit waren. Und dein Hinweis ist sehr wichtig, dass diese angeblichen "Arbeiter-Repraesntanten" aus dem Grossbuergertum mit/ohne Adels-Zertifikat kamen. Andere konnten nicht uebers Wochende so einfach nach London und spaeter nach New York reisen.
Ein anderer, fast schon lustiger, Hinweis ist das problem von karl Marx mit max Stirner, auf den du ja auch verwiesen hast. Auf seinen Text "Der Einzige und sein Eigentum", etwa 30 Seiten, hat Karl Marx mit dem Text "Sankt Max" reagiert, was dann spaeter zur "deutsche ideologie" umbenannt wurde. Friedrich Engels fand den text von M.Stirner sehr gut. K.Marx war entsetzt.
Etwas aehnliches entstand spaeter mit dem text "das Recht auf Faulheit" von Paul Lafargue, Ehemann der Tochter Anna von Karl Marx. marx hatte grosse Schwierigkeiten mit den "autonomen Subjekten".
Dieser Grundkonflikt zwischen Organisation der Produktion zur Selbstversorgung oder Organisation der Waren- und Geldverteilung fuer den Konsum ist zentral und auch heute ueberall praesent. Und, jetzt ohne dich abzuwerten, frage dich selbst, was du bisher dazu beigetragen hast, dass du leben kannst und Dinge benutzen, um deinen spezifischen Lebenswandel realisieren zu koennen.
Andre Gorz hat es auf einen einfachen Nenner gebracht. Am Ende unseres Lebens brauchen wir eine mindestens ausgeglichene Balance von dem, was wir Geben und dem, was wir Nehmen. Denke immer daran, dass jedes Nehmen immer ein Geben vorraussetzt.
Ich stelle die Oekonomie, so wie ich sie definiere, an den Anfang. Hier fliessen unsere tiefen philosophischen Grundlagen ein. Das Politische folgt daraus, weil es sich nur um die Frage dreht, wie organisieren wir die Herstellung unserer materiellen Lebensgrundlagen. Und es liegt ja nahe, dass wir von Geld als bedrucktes Papier und Zahlen in datenverarbeitenden Systemen nicht leben koennen.
So komme ich letztlich zum zentralen Grundkonflikt seit tausenden Jahren: Egoismus oder Communismus.
Das, was wir erleben, ist der organierte Egoismus. Er braucht notwendig Zentralismen. Das, was wir brauchen, ist der Communismus, der notwendig eine radikale Dezentralisierung benoetigt.
Wir koennen auch den Konflikt von Karl Marx und Michail Bakunin diesem Grundkonflikt zuordnen, wobei hier fuer mich Karl Marx den organisierten Egoismus unterstuetzte, weil er auf zentralierte Apparate setzte. Du siehst dies wahrscheinlich nicht so schroff.
Die Loesung fuer mich ist die Befaehigung in allen Regionen auf unserem Planeten zur demokratischen Selbstorganisation ihrer lokalen/regionalen Oekonomie. Die Grundlage dafuer sind die Kenntnisse und das Verstehen der Gesetze der Natur, um sie gemaess unserer philosophischen Grundlagen anwenden zu koennen. Auf diesem Hintergrund formuliere ich unser Ziel:
"Die Stabilitaet unserer materiellen Lebensgrundlagen fuer Alle in allen Regionen auf unserem Planeten."
Hugo Chavez, auch ein Freund anarchistischer Ideen, weil sie ja in den indigenen Gemeinden immer existieren, beeinflusst von Kleber Ramirez, hat 3 Punkte aufgelistet, die ich in einem Dreipol angeordnet habe:
Das Ziel: Independencia o Nada (Unabhaengigkeit oder Nichts)
Die Mittel: Poder Popular o Nada (Volksmacht ..)
Comunas o Nada (Communes ..)
Die Unabhaengigkeit, die wir meist als politische Unabhaengigkeit verstehen, setzt die oekonomische Unabhaengigkeit voraus.
Poder Popular, die Volksmacht, ist das, was wir als Volkssouveraenitaet verstehen. Realisierbar nur in demokratischen Beziehungen mit radikaler Dezentralisierung. In jeder Region ist immer die Bevoelkerung der politische Souveraen. Die Verfassung von Venezuela ist die einzige, die ich kenne, die diesem Grundprinzip folgt.
Comuna, Communes, das sind lokale Lebensgemeinschaften mit ihrer eigenen, maximal unabhaengigen Oekonomie. Regionale Anforderungen werden als Verband der Gemeinden kooperativ realisiert.
Ich habe Jetzt Carolus Wimmer, der in Venezuela lebt und Sekretaer fuer internationale Angelegenheiten der PCV (Partida Comunista Venezuela) ist, im CC dazu gefuegt.
Damit treten die Kenntnisse und das Verstaendnis der Gesetze der Natur in den Vordergrund, die ja universal sind und fuer uns global gelten. Dafuer arbeite ich fuer ein globales Netzwerk fuer freie Technologie auf den beiden Prinzipien:
- global denken, lokal handeln
- Wissen ist immer Welterbe (oder Erbe der Menschheit)
Das ist fuer mich die Basis, wie wir unsere Ziele erreichen koennen. Sie zielt auf die freie Kooperation der Regionen auf unserem Planeten. Ich gehe ja davon aus, dass wir in den Zielen, Perspektiven und Visionen (nicht Utopien) uns sehr nahe sind, waehrend wir hohe Differenzen in den Realisierungs-Moeglichkeiten und -Methoden haben.
Nochmals meinen grossen Dank fuer deine Antwort und meine Bitte, wenn moeglich, diese Debatte fort zu setzen.
mit lieben gruessen, willi
Asuncion, Paraguay