Entscheidungsfindung und -umsetzungSystemisches Konsensieren - ein besserer Weg zur demokratischen Entscheidungsfindung?


Themenersteller
Thomas
Administrator
Beiträge: 106
Registriert: 23.04.2020, 22:44

Systemisches Konsensieren - ein besserer Weg zur demokratischen Entscheidungsfindung?

Beitrag von Thomas »

Heute möchte ich euch eine Methode der gemeinsamen demokratischen Entscheidungsfindung vorstellen, die sich Systemisches Konsensieren nennt.

Diese Methode ist noch relativ neu, sie stammt soweit ich gelesen habe aus den 2000ern und unterscheidet sich von klassischen Abstimmungsverfahren. Ich persönlich finde diese Methode der Entscheidungsfindung super und will im Folgenden mal versuchen, sie euch anschaulich an einem Beispiel zu beschreiben.

Stellen wir uns einmal die folgende Situation vor: Eine Gruppe politischer Aktivisten von vier Personen diskutiert darüber, was sie als nächste gemeinsame Aktion zusammen durchführen will. Dabei stehen die folgenden Vorschläge zur Auswahl:
  • Durchführung einer Podiumsdiskussion
  • Verteilung von Flugblättern
  • Durchführung einer Sitzblockade
  • Durchführung einer Kundgebung
Aufgrund von begrenzten zeitlichen Ressourcen kann nur ein Vorschlag umgesetzt werden und die Gruppe will demokratisch entscheiden. In einer klassischen Abstimmung würden jetzt alle vier Aktivisten die Option auswählen, die sie bevorzugen. Stellen wir uns vor, Person A ist für die Podiumsdiskussion, Person B und C sind für die Sitzblockade und Person D ist für die Verteilung von Flugblättern, womit sich das folgende Abstimmungsresultat ergibt:

Bild

Mit einem derartigen Ergebnis würde man sich natürlich für die Sitzblockade entscheiden, für die in diesem Fall eine einfache Mehrheit von 50 % abgestimmt hat. Nun stellen wir uns aber folgendes Problem vor: Person A und D sind absolut gegen eine Sitzblockade, da sie unter keinen Umständen mit der Polizei in Konflikt kommen wollen. Für sie, also in dem Fall für die Hälfte der Gruppe, stellt dieses Abstimmungsergebnis und die darauf basierende Entscheidung die schlechteste Option dar. Ihr Abstimmungsverhalten hatte zudem nicht den geringsten Einfluss auf die Entscheidung. Als Folge davon könnte z. B. Unmut bei A und D auftreten, Streit und Spannung in der Gruppe oder es könnte eine Sitzblockade geben, an der nur die Hälfte der Gruppe teilnimmt. Ganz einfach, weil die eigentlich demokratisch gemeinte Abstimmung zu einem Ergebnis geführt hat, was bei einem bedeutenden Teil der Gruppe auf klare Ablehnung stößt.

Systemisches Konsensieren versucht, derartige Probleme zu vermeiden, indem es seinen Hauptfokus bei der Entscheidungsfindung nicht auf der von den meisten Mitgliedern einer Gruppe favorisierten Lösung legt, sondern vielmehr auf die Lösung, der der geringste Widerstand entgegengebracht wird.

Die Abstimmung läuft daher nicht über die Zustimmung zu einer der Entscheidungsoptionen, sondern über die Vergabe von sogenannten Widerstandspunkten für alle Entscheidungsoptionen auf einer Skala zwischen 0 und 10. Dabei bedeuten 0 Widerstandspunkte, dass man einer Option gar keinen Widerstand entgegenbringt (d. h. vollkommen einverstanden mit ihr ist) und 10 Widerstandspunkte den höchstmöglichen Widerstand (d. h. die höchstmögliche Ablehnung) gegenüber einer Option. Die Zahlen dazwischen werden als entsprechende Abstufungen zwischen diesen beiden Extremen vergeben. Stellen wir uns nun ein Abstimmungsergebnis unserer Aktivistengruppe vor, das mittels systemischem Konsentieren erreicht wurde:

Bild

Person A favorisiert die Podiumsdiskussion und hat dort keine Widerstandspunkte angegeben, während sie die Sitzblockade am stärksten ablehnt und demzufolge dort die meisten Widerstandspunkte verteilt hat. Die Personen B und C favorisieren die Sitzblockade und geben dort die wenigsten Widerstandspunkte an. Person D favorisiert wiederum die Flugblätter, versieht sie mit den wenigsten Widerstandspunkten und lehnt die Sitzblockade strikt ab, woraus die höchsten vergebenen Widerstandspunkte resultieren. Die anderen von den Beteiligten vergebenen Widerstandspunkte liegen dazwischen.

Beim systemischen Konsentieren würde man sich jetzt für die Option mit den wenigsten Widerstandspunkten entscheiden. In unserem Beispiel wäre das die Kundgebung, die zwar von keinem Mitglied der Aktivistengruppe favorisiert wird, aber von allen Mitgliedern gut mitgetragen wird, wie man an der geringen Gesamtzahl der Widerstandspunkte sehen kann. Obwohl in der klassischen Abstimmung niemand für die Kundgebung gestimmt hat, wäre sie in unserem Beispiel beim systemischen Konsentieren die Entscheidung der Wahl, weil sie die meiste Zustimmung in der Gruppe als Ganzes hat.

Hier nochmal einige Vorteile vom systemischen Konsentieren:
  • Leicht verständlich und auch in großen Gruppen oder mit elektronischen Hilfsmitteln anwendbar.
  • Es können mehrere Entscheidungsoptionen miteinander verglichen werden.
  • Die Stimmen aller werden immer gleichberichtigt einbezogen, unabhängig davon, welche Entscheidung am Ende herauskommt.
  • Der Fokus auf Widerstand gegenüber Entscheidungen offenbart Konfliktpotentiale bei der Entscheidungsfindung, die man konstruktiv lösen kann.
  • Mehrstufige Vorgehensweisen sind möglich, z. B. zur Priorisierung vor der eigentlichen Entscheidungsfindung. Gibt es zu viele Entscheidungsoptionen, um alle einzeln zu diskutieren, kann man z. B. in einem ersten Abstimmungsdurchgang diejenigen eliminieren, die eine vordefinierte Anzahl an Widerstandspunkten überschreiten, d. h. von zu vielen abgelehnt werden. Die verbliebenen Optionen können dann eingehender pro/kontra diskutiert werden, um sie abschließend nochmal final abstimmen zu lassen.
Hier noch der Link zur Homepage der Entwickler dieses Abstimmungsverfahrens:
https://www.sk-prinzip.eu/

Zudem noch ein kurzes, knackiges Erklärvideo:
https://www.youtube.com/watch?v=A5As9tcy2dU

Die Entwickler dieses Verfahrens verdienen damit natürlich auch Geld, indem sie dazu Schulungen etc. anbieten und machen daher etwas Eigenwerbung, aber trotzdem halte ich systemisches Konsensieren für eine absolut sinnvolle und beachtenswerte Verfahrensweise für die demokratische Entscheidungsfindung und hoffe auf eine angeregte Diskussion hier in diesem Thread.


willi uebelherr
Beiträge: 555
Registriert: 26.04.2020, 21:40
Wohnort: Asuncion, Paraguay
Kontaktdaten:

Re: Systemisches Konsensieren - ein besserer Weg zur demokratischen Entscheidungsfindung?

Beitrag von willi uebelherr »

Lieber [mention]Thomas[/mention], danke fuer diesen beitrag.

Bevor ich nach Venezuela ging, war fuer mich immer die "absolute Mehrheit aller Entscheidungsberechtigten" wesentlich. In Venezuela in den Comunas, den indigenen Gemeinden und bei Cecosesola in Barquisimeto und drum herum im Westen von Venezuela, eine landwirtschaftliche Kooperative, galt das nie. Es wird solange diskutiert, bis kein relevanter widerspruch mehr existiert. Also die Widersprechenden ihren Widerspruch erstmal zurueck nehmen, um den Versuch des Gemeinsamen nicht zu blockieren.

Es hat mich fasziniert und ist immer hoch produktiv, sich so langsam anzunaehern, ohne das Ziel aus den Augen zu verlieren. Dein vorschlag, das Minimum der Widersprueche heran zu ziehen, ist insofern statisch, weil der klaerungsprozess vorschnell abgeschlossen werden kann, indem wir auf eine formale Form ausweichen.

Das wichtigste ist immer die Kommunikation. Und nur sie schafft uns den Zugang zu dem, was wir gemeinsam tragen koennen.

Hier kommt ein altes sprichwort zum Tragen:
"Guud Ding braucht Weile", also "gute Dinge brauchen Zeit". Was ich damit erweitere: "Nur Schlechtes geht schnell".

Zu deiner zeitlichen Angabe. Die indigenen gemeinden vor der europaeischen kolonialisation waren meistens so organisiert und sind es oft heute noch. Und, soweit ich dies sehe, waren auch die Germanen und Teutonen wie auch die Etrusker wie auch die Indus kultur so organisiert. So betrachtet ist es schon etwas aelter.


Peter F
Beiträge: 25
Registriert: 07.05.2020, 08:02

Re: Systemisches Konsensieren - ein besserer Weg zur demokratischen Entscheidungsfindung?

Beitrag von Peter F »

Sicher ist es so, dass jemand dem das öfters passiert, keine Lust mehr auf diese Aktion hat und ganz plötzlich krank wird, wenn es dumm läuft verlässt er vielleicht sogar die Gruppe. Das würde für konsensieren sprechen.
(Wobei hier allerdings auch die Frage erlaubt sei, wenn jemand andauernd überstimmt wird, stimmt vielleicht auch irgendwas mit der Gruppe oder der Einzelperson nicht.)

Allerdings, wenn man es mal etwas anders formuliert, ob dass kleinste Übel für Alle auch das beste Ergebnis ist, in deinem Beispiel also die beste Veranstaltungsform, da habe ich so meine Zweifel.


Themenersteller
Thomas
Administrator
Beiträge: 106
Registriert: 23.04.2020, 22:44

Re: Systemisches Konsensieren - ein besserer Weg zur demokratischen Entscheidungsfindung?

Beitrag von Thomas »

willi uebelherr hat geschrieben:
25.05.2020, 20:35
Zu deiner zeitlichen Angabe. Die indigenen gemeinden vor der europaeischen kolonialisation waren meistens so organisiert und sind es oft heute noch. Und, soweit ich dies sehe, waren auch die Germanen und Teutonen wie auch die Etrusker wie auch die Indus kultur so organisiert. So betrachtet ist es schon etwas aelter.
Die Aussage war auch mehr auf dieses konkret benannte und strukturierte Verfahren bezogen. Dass es den grundlegenden Ansatz schon bedeutend länger gibt, stelle ich natürlich nicht in Abrede.
willi uebelherr hat geschrieben:
25.05.2020, 20:35
Es hat mich fasziniert und ist immer hoch produktiv, sich so langsam anzunaehern, ohne das Ziel aus den Augen zu verlieren. Dein vorschlag, das Minimum der Widersprueche heran zu ziehen, ist insofern statisch, weil der klaerungsprozess vorschnell abgeschlossen werden kann, indem wir auf eine formale Form ausweichen.

Das wichtigste ist immer die Kommunikation. Und nur sie schafft uns den Zugang zu dem, was wir gemeinsam tragen koennen.

Hier kommt ein altes sprichwort zum Tragen:
"Guud Ding braucht Weile", also "gute Dinge brauchen Zeit". Was ich damit erweitere: "Nur Schlechtes geht schnell".
Ich stimme dir vollkommen zu, dass ein Diskussionsprozess, bis für alle ein Konsens erreicht ist, die Idealform eines demokratischen Entscheidungsfindungsprozesses ist. Denn letzten Endes ist auch systemischen Konsentieren ein Abstimmungsverfahren. Und die Abstimmung als solche ist in einer wirklichen Demokratie nicht das bevorzugte Mittel, sondern vielmehr das letzte Mittel. Das sagt zum Beispiel auch Mausfeld.

Allerdings halte ich es für fraglich, ob diese Idealform in der Realität immer umsetzbar ist. Was ist z. B. bei Entscheidungen, die schnell getroffen werden müssen, weil ein Verzögern schwerwiegende Folgen hätte? Oder, wenn trotz intensiver Diskussion und dem Austausch aller Argumente immer noch kein Konsens erreicht wurde? Oder wenn die Gemeinschaft extrem groß ist (ich denke insgesamt kann man sagen, je kleiner die Gemeinschaft, desto einfacher funktioniert wirkliche Demokratie)? Ich denke, man wird niemals völlig um Abstimmungen herumkommen, daher sollte man zumindest die Verfahren wählen, die am demokratischsten sind und die gesamte Gruppe in jede Entscheidungsoption einbeziehen. Ein offener Diskurs sollte in jedem Fall vorausgehen. Verfahren wie systemisches Konsensieren sollten aus meiner Sicht den demokratischen Diskurs unterstützen aber ihn keinesfalls ersetzen.

Ich sehe jedoch jedoch auch ein generelles großes Problem bei demokratischen Entscheidungsverfahren: Sie gehen in der Theorie von der Annahme aus, dass alle Beteiligten eine Konsens- und Diskussionsbereitschaft haben. Die Frage ist, ob dies in der Realität immer der Fall ist? Ich bezweifle es und aus meiner Sicht bergen demokratische Entscheidungsverfahren deshalb auch eine große Gefahr, missbraucht zu werden, indem man ihre eigenen Prinzipien gegen sie anwendet. Das heißt, dass man die demokratischen Prinzipien gezielt ad absurdum führt und sie auf diese Weise außer Kraft setzt.

Ich nehme mal das Idealbild der demokratischen Entscheidungsfindung, die Diskussion, bis ein Konsens erreicht wird. Führt man dieses Prinzip konsequent durch, dürfte keine Entscheidung getroffen werden, wenn kein Konsens gefunden wurde, der für jedes Mitglied einer Gemeinschaft tragbar ist. Man stelle sich einmal eine Gemeinschaft vor, in der alle Mitglieder bis auf ein einziges für eine bestimmte Entscheidung sind. Das eine Mitglied, das gegen die Entscheidung ist, ignoriert jegliche Argumente und bleibt stur, weil es unbedingt seinen Willen durchsetzen will. Konsequenterweise dürfte die Entscheidung also nicht getroffen werden. Dies würde aber bedeuten, dass dieses eine Mitglied durch seine bewusst eingesetzte Verweigerungshaltung unverhältnismäßig viel Macht bekommt bzw. zur allein entscheidenden Person aufsteigt, da letztlich nur ihre Haltung den Ausschlag gibt, ob die Entscheidung umgesetzt wird oder nicht. Sie kann die Entscheidung blockieren und damit den Willen aller anderen außer Kraft setzen.

Beim systemischen Konsensieren zeigt sich ein vergleichbares Problem. Ich bleibe jetzt mal bei dem Beispiel von oben mit den vier Mitgliedern der Aktivistengruppe. Stellen wir uns mal vor, D will seine bevorzugte Aktion, die Verteilung von Flugblättern, um jeden Preis durchsetzen. Daher gibt D seiner bevorzugten Option 0 Widerstandspunkte und allen anderen Optionen 10 Widerstandspunkte. Damit würde sich das folgende Bild in der Tabelle ergeben:

Bild

Die Folge davon wäre, dass die Entscheidung nun zugunsten der Flugblätter ausfallen würde, obwohl (abgesehen von D) kein anderes Gruppenmitglied diese Option bevorzugt hat und auch in der Gesamtgruppe nur der Einfluss von D zur Entscheidung dafür geführt hat. Während die anderen Mitglieder ehrlich und reflektiert alle Optionen abgewogen haben, hat sich D durch das bewusste Herbeiführen des maximalen Punkteunterschiedes zwischen seiner bevorzugten Option und allen anderen Optionen einen Vorteil verschafft, in dem seine Stimme damit eine höhere Gewichtung bekam.

Die Beispiele verdeutlichen das Problem bei demokratischen Entscheidungsverfahren aus meiner Sicht, dass diejenigen, die unfair spielen, belohnt werden und sich Vorteile verschaffen. Meine persönliche Erkenntnis daraus ist, dass demokratische Verfahrensweisen allein nicht ausreichen, sondern dass es auch Sicherungsmechanismen geben muss, die einem derartigen Missbrauch vorbeugen.


Themenersteller
Thomas
Administrator
Beiträge: 106
Registriert: 23.04.2020, 22:44

Re: Systemisches Konsensieren - ein besserer Weg zur demokratischen Entscheidungsfindung?

Beitrag von Thomas »

Peter F hat geschrieben:
26.05.2020, 20:59
Sicher ist es so, dass jemand dem das öfters passiert, keine Lust mehr auf diese Aktion hat und ganz plötzlich krank wird, wenn es dumm läuft verlässt er vielleicht sogar die Gruppe. Das würde für konsensieren sprechen.
(Wobei hier allerdings auch die Frage erlaubt sei, wenn jemand andauernd überstimmt wird, stimmt vielleicht auch irgendwas mit der Gruppe oder der Einzelperson nicht.)

Allerdings, wenn man es mal etwas anders formuliert, ob dass kleinste Übel für Alle auch das beste Ergebnis ist, in deinem Beispiel also die beste Veranstaltungsform, da habe ich so meine Zweifel.
Die Frage ist allerdings, wer definiert, was das beste Ergebnis ist? Ist diese Einschätzung nicht höchst subjektiv? Ich denke, der Hauptfokus ist deshalb widerstandsorientiert, um das Konfliktpotential bestimmter Entscheidungen offenzulegen und eventuellen Problemen, die im Zusammenhang mit der jeweiligen Entscheidung auftreten können, von vorneherein vorzubeugen.

Theoretisch könnte man das Verfahren auch ins Positive umwandeln und z. B. Präferenzpunkte geben. 0 Präferenzpunkte bedeuten gar keine Präferenz für eine Entscheidungsoption, 10 Punkte die höchste Präferenz. Es wäre mal interessant, zu sehen, ob das Abstimmungsergebnis zur gleichen Entscheidung in diesem Fall anderes ausfallen würde oder nicht.


willi uebelherr
Beiträge: 555
Registriert: 26.04.2020, 21:40
Wohnort: Asuncion, Paraguay
Kontaktdaten:

Re: Systemisches Konsensieren - ein besserer Weg zur demokratischen Entscheidungsfindung?

Beitrag von willi uebelherr »

Lieber [mention]Thomas[/mention], solche prozesse entstehen nur ueber gemeinsame ziele. Insofern ist jede sich demokratisch organisierende gemeinschaft daran interessiert, fuer alles, was sie tun wollen, eine moeglichst grosse basis zu erreichen.

In deinem beispiel taucht eine person auf, die sich nicht demokratisch organisieren will und so schon permanent in konflikt mit der gemeinschaft kommt. So habe ich es selbst erlebt.

Und zu kurzfristigen entscheidungen? Sie sind meist unerheblich und koennen so nebenher erledigt werden. Eine dokumentation reicht aus. Fuer die wirklich wichtigen fragen steht immer genug zeit zur verfuegung, weil sie mittel- und langfristiger natur sind. Und je tiefer eine entscheidung reicht bezueglich ihrer konsequenzen, um so aufmerksamer und bewusster werden diese fragen behandelt.

Ich selbst habe nie erlebt, dass bedeutsame fragen so hoppla di hopp entschieden wurden. Oft waren viele foren zur thematischen vorbereitung vorgeschaltet.


Peter F
Beiträge: 25
Registriert: 07.05.2020, 08:02

Re: Systemisches Konsensieren - ein besserer Weg zur demokratischen Entscheidungsfindung?

Beitrag von Peter F »

Das Ergebnis kann auch nur scheinbar subjektiv sein.

Was ist das Ziel einer Protest-Veranstaltung?

Passanten zu informieren, möglicherweise dass sie ihre Wahlentscheidung überdenken, dass man es in die Presse schafft und vielleicht sieht sich ja sogar ein Politiker zu einer Aussage genötigt.
Wenn man mal von der Sache mit der Presse und dem Politiker absieht, sind diese Sachen in der Tat eher subjektiv.

Aber sind das wirklich die einzigen Ziele? Nein...
- Sammeln von eMail Adressen von Passanten und ein Besuch der jeweiligen Gruppierung
- Besuch der Veranstaltungen von anderen Gruppierungen.
Und diese beiden Sachen sind nicht subjektiv sondern mehr oder weniger messbar.

Und da bin ich mir eben nicht so sicher, ob die Wahl der Aktion mit dem wenigsten Widerstand die beste Wahl ist.
"Lasst uns mal was anderes probieren!" hat es da vielleicht etwas schwieriger als bei einer direkten Abstimmung.


Themenersteller
Thomas
Administrator
Beiträge: 106
Registriert: 23.04.2020, 22:44

Re: Systemisches Konsensieren - ein besserer Weg zur demokratischen Entscheidungsfindung?

Beitrag von Thomas »

willi uebelherr hat geschrieben:
28.05.2020, 01:28
In deinem beispiel taucht eine person auf, die sich nicht demokratisch organisieren will und so schon permanent in konflikt mit der gemeinschaft kommt. So habe ich es selbst erlebt.
Die Frage, die ich mir selbst bzw. auch an dich stelle ist, wie geht man mit derartigen Personen am besten um?
Peter F hat geschrieben:
28.05.2020, 19:38
Das Ergebnis kann auch nur scheinbar subjektiv sein.

Was ist das Ziel einer Protest-Veranstaltung?

Passanten zu informieren, möglicherweise dass sie ihre Wahlentscheidung überdenken, dass man es in die Presse schafft und vielleicht sieht sich ja sogar ein Politiker zu einer Aussage genötigt.
Wenn man mal von der Sache mit der Presse und dem Politiker absieht, sind diese Sachen in der Tat eher subjektiv.

Aber sind das wirklich die einzigen Ziele? Nein...
- Sammeln von eMail Adressen von Passanten und ein Besuch der jeweiligen Gruppierung
- Besuch der Veranstaltungen von anderen Gruppierungen.
Und diese beiden Sachen sind nicht subjektiv sondern mehr oder weniger messbar.

Und da bin ich mir eben nicht so sicher, ob die Wahl der Aktion mit dem wenigsten Widerstand die beste Wahl ist.
"Lasst uns mal was anderes probieren!" hat es da vielleicht etwas schwieriger als bei einer direkten Abstimmung.
Ich denke, du hängst dich hier ein wenig zu sehr an dem konkreten Beispiel auf. Das mit der Aktivistengruppe/Aktion habe ich nur als Beispiel gewählt, weil wir hier in einem politischen Forum sind. Ich hätte auch vier Freunde nehmen können, die eine Entscheidung darüber treffen wollen, in welche Bar sie abends gehen. Oder vier Arbeitskollegen, die unterschiedliche Vorgehensweisen in einem Projekt abstimmen wollen. Oder vier Familienmitglieder, die über das nächste Urlaubsziel entscheiden. Welche konkrete Entscheidung getroffen werden soll, ist aus meiner Sicht zweitrangig, es geht eher um das Prinzip, eine demokratische Entscheidung zu treffen, die im bestmöglichen Sinn der Gruppe ist bzw. die im Nachhinein dzu den wenigsten Problemen führt.


willi uebelherr
Beiträge: 555
Registriert: 26.04.2020, 21:40
Wohnort: Asuncion, Paraguay
Kontaktdaten:

Re: Systemisches Konsensieren - ein besserer Weg zur demokratischen Entscheidungsfindung?

Beitrag von willi uebelherr »

".. es geht eher um das Prinzip, eine demokratische Entscheidung zu treffen, die im bestmöglichen Sinn der Gruppe ist bzw. die im Nachhinein dzu den wenigsten Problemen führt."

Lieber [mention]Thomas[/mention],
generell ruht eine solche "Entscheidungsfindung" auf dem willen, etwas in gang zu setzen. Und dieser wille ist letztlich nur erfuellbar, wenn es zur gewuenschten aktion kommen kann. Zumeist ist dies eine kurze diskursphase, die dazu notwendig wird. Die meisten entschluesse entstehen sowieso spontan.

Grundlegendere fragen erfordern immer einen laengeren diskurs-prozess, der einen solchen entschluss ermoeglichen kann. Und das gilt auch fuer die SkeptikerInnen, die sich noch nicht eindeutig dafuer oder dagegen aussprechen koennen. Oft hat dies den hintergrund, dass die notwendigkeit noch nicht allgemein nachvollziehbar ist.

"Die Frage, die ich mir selbst bzw. auch an dich stelle ist, wie geht man mit derartigen Personen am besten um?"

Meine erfahrung zeigt mir, dass es dabei um zwei grundverschiedene faelle geht. Einmal personen, die im partiellen widersprueche haben, die sich auch auf deren erfahrungen und biografien stuetzen koennen oder eine scheu vor fuer sie unkalkulierbarem Aufwand oder jene personen, die sich eigentlich schon generell gegen die perspektiven der gruppe innerlich gewandt haben, aber noch nicht sich entscheiden koennen.

Im ersten fall finden sich immer wege, die keinen widerstand erzeugen und zumeist auch keine last fuer sie. Im zweiten fall laeuft es sowieso auf eine trennung hinaus, die wir gar nicht provozieren muessen, sondern sich parallel einstellt. Das setzt voraus, dass der aktions- und handlungsraum der anderen nicht eingeschraenkt wird.

So entstehen verschiedene aktionszentren, die solange sich nicht gegenseitig behindern, solange die gleichen oder nahe ziele existieren. Das verbindende in diesem raum von positiver begeisterung bis negativer skepsis und zurueckhaltung sind die weiten ziele. Wenn da differenzen wirken, wird es sowieso schwierig, weil sie sich seltenst offen zeigen, sondern vermittelt im kleinen zu tage treten.

Wichtig ist immer die existenz von alternativen. Sowohl die einen wie die anderen koennen sich der tat zuwenden und werden nicht behindert. Hier hilft immer das konzept der dezentralisierung, die eine buendelung gleicher oder aehnlicher orientierungen ermoeglicht.

ed: Vielleicht steht hinter dieser fragestellung der wunsch nach Gleichschritt und Monotonie, statt sich froehlich und entspannt der Vielfalt anzuvertrauen.


Peter F
Beiträge: 25
Registriert: 07.05.2020, 08:02

Re: Systemisches Konsensieren - ein besserer Weg zur demokratischen Entscheidungsfindung?

Beitrag von Peter F »

[mention]willi uebelherr[/mention]

Ein Diskurs würde aber grundsätzlich eigentlich erfordern, dass:
1) Person A eine Idee aufwirft.
2) Person B:
2.1) Keine persönliche Zuwendung oder Ablehnung gegenüber Person A hat. Oder um es sogar weiter zu fassen, gegenüber keiner Person der jeweiligen Gruppe.
2.2) Keine Meinung hat und sich diese erst Aufgrund der Idee bildet.
Eine Meinung haben und sich dann mit der Idee befassen, ist aber ganz offensichtlich sehr weit verbreitet. Schau dir doch z.B. mal Nachrichten an. Die meisten haben eine Meinung und bewerten dann die Nachricht, auch dann wenn die Nachricht vollkommen neu ist und man zu dem jeweiligen Thema eigentlich auch über keinerlei Wissen verfügt um sich eine Meinung gebildet haben zu können.
3) Eine gewisse zeitliche Nähe. Häufig zeigt sich nämlich die Tendenz, dass es ziellose Endlosdiskussionen werden; oder besser Endlosdebatten, da die selben Pro- und Kontra Argumente nur andauernd wiederholt werden, häufig auch noch von immer den selben Wortführern; aber eben ohne irgendein greifbares Ergebnis.

Das sind so meine Erfahrungen mit Entscheidungsfindungen und ich sehe durchaus die Notwendigkeit einer Abstimmung. Konsensieren finde ich grundlegend nicht verkehrt, obwohl ich zugeben muss, dass ich durchaus ein paar Bedenken habe, aber dieses vielleicht auch aus Unerfahrenheit.

[mention]Thomas[/mention]
Sicherlich kommt es da auf die jeweilige Fragestellungen an, generell finde ich dieses Konsensieren ja nicht verkehrt. Sicherlich werden Erfahrungen der jeweiligen Gruppe mit diesem System auch eine Rolle spielen.

Antworten

Zurück zu „Entscheidungsfindung und -umsetzung“