Kultur und Kabarett / Humor und IronieWenzel's Siebzigster im Admiralspalast

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Guido
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Wenzel's Siebzigster im Admiralspalast

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Von Thomas Wittenbecher:

Über das geburtstagskind (70)
Gegen Wokeness: Pazifist und Liedermacher Wenzel ruft zu „demokratischer Wachsamkeit“ auf.
Der Künstler feiert in Berlin seinen 70. Geburtstag auf der Bühne, spottet, dass Lieder aus der DDR noch immer ihre Gültigkeit haben und bekennt sich zum Pazifismus. Eine Konzertkritik.
Wenzel, der Mann im Matrosenshirt inmitten seiner Band im Admiralspalast.
Am Anfang ist das Wort – das klingt natürlich viel zu christlich und viel zu pathetisch für diesen Abend. Aber am Anfang sind es tatsächlich vor allem die Worte, die das Publikum am Donnerstagabend im Berliner Admiralspalast in den Bann ziehen. Denn die Musik, die sie bei diesem Konzert zu erwarten haben, ist den meisten vertraut: Hans-Eckardt Wenzel feiert seinen 70. Geburtstag, und es sind viele Fans gekommen, die seine frühen Lieder noch aus DDR-Zeiten kennen und die ihm über die Umbrüche der Zeiten danach treu geblieben sind. Aber diese Fans haben eben auch Freunde und Verwandte mitgebracht, die teilweise noch nie ein Lied dieses geradezu legendären Liedermachers gehört haben.

Und so liegt eine gebannte Stimmung im Saal. Ein Lauern auf die ersten Worte des Meisters, der ganz am Anfang einer kleinen Clownspuppe seine Stimme leiht und im Einstiegsmonolog sagt: „Wehe dem Volk, das keine Narren hat, Spott ist die Waffe der Bedrängten gegen den Hochmut der Macht.“ Gebanntes Schweigen herrscht im Saal, tiefe Stille. „Wehe dem Volk, das Narren nötig hat. Es taugt der Mensch als Feind nicht, wenn er lacht“, sagt die tiefe Stimme. „Weg mit der Kunst, es siegt das Militär, der Frieden fällt den Reichen viel zu schwer.“

Der Ton des Abends ist gesetzt, und das Publikum nimmt ihn mit dankbarem Beifall auf. Es ist klar: Es wird wieder politisch werden und eben auch poetisch, denn Wenzel ist nun mal auch ein Dichter. Er wird kluge und böse Sätze in den Saal werfen, die sich einen Dreck scheren um den woken Zeitgeist oder den der Aufrüstung und der Militarisierung. Hier steht ein Pazifist, der sich weder dafür schämt noch rechtfertigt, sondern verkündet: „Und die Präsidenten reden, so als wären wir blödes Vieh. Doch wir werden uns nicht fügen, dieser Idiotie.“

Dass die Wenzel-Fans im Saal all seine Lieder kennen, jede Textzeile, ist geschenkt. Das ist von Fans erwartbar. Das wirklich Besondere dieses Abends ist, dass es nicht nur ein Geburtstagsfest dieses Künstlers auf der Bühne ist, sondern auch ein Fest für alle Ahnungslosen. In unserer Vierer-Gruppe sind zwei Leute, die keinerlei Ahnung haben von Wenzel und die zum Schluss – so wie der ganze Saal – aufstehen und einfach nur klatschen, weil er sie mit so manchem Song glücklich gemacht hat und mit manchem Wort nachdenklich.

Sie wollten ihn nicht spielen lassen in Weißensee

Es ist müßig, bei einer Konzertkonzertkritik über einen solchen Nischen-Künstler, der es nie in die Charts geschafft hat, über seine Lieder erzählen zu wollen. Deshalb hier eine kurze Abhandlung über seine Worte, seine Moderationen zwischen den Songs, die mindestens so wichtig sind wie die Lieder selbst. Denn Wenzel konnte es schon zu DDR-Zeiten nicht lassen, zu sticheln und böse und schön zu dichten gegen die da oben und damit sein Publikum zu beglücken. Und so sagt er Sätze wie: „Manchmal ist es auch von Vorteil, dass man eine etwas große Klappe hat in diesem Land und sich einige Freunde zum Feind macht.“ Dann erzählt er, dass sie dieses Konzert eigentlich in der Freilichtbühne Weißensee spielen wollten, „aber die haben das nicht ertragen, dass ich da spiele, aus politischer Angst.“ Und schon wird er typisch dialektisch und sagt, dass dies in diesem regnerischen Zeiten den großen Vorteil hat, dass alle nun in diesem Saal sind und nicht nass werden.

Nach dem nächsten Lied verkündet er: „Auch wenn wir gerade in Feierlaune sind, dürfen wir in diesen komplizierten Zeiten nicht leichtsinnig werden. Ich rufe alle zu demokratischer Wachsamkeit auf.“ Der Begriff der revolutionären Wachsamkeit war ein Schlagwort der SED in der DDR, und so verkündet er nun beherzt, dass das, was kürzlich noch leichtsinnigerweise als eine andere Meinung eingestuft wurde, nun Fake News sein könnten, Desinformationen oder Propaganda. „Also, falls Sie spüren, dass ich irgendetwas sage, was als russische Propaganda oder was auch immer erkannt werden könnte, gehen Sie sofort raus und veranstalten Sie einen Shitstorm. Übersetzt heißt das: Kackewind.“

Er hat seine Freude, das Publikum hat seine Freude. Und er macht weiter, er verkündet, dass manche Dinge gerade wahr sind und schon bald wieder falsch, oder umgekehrt. So wäre zum Beispiel die erste Zeile des nächsten Liedes noch vor 20 Tagen definitiv eine Desinformation gewesen. Die Spannung im Saal steigt, Wenzel schlägt die Gitarre an, die Band steigt ganz gefühlvoll ein und er singt diese erste Zeile: „Der Sommer ist gekommen...“ Und der Saal versinkt in Lachen über diese Fake News.

So geht das Ping-Pong-Spiel zwischen Bühne und Publikum weiter, er weiß, dass er niemandem mehr etwas beweisen muss. Es geht ihm vor allem um seine Wahrheiten, es geht viel um Krieg und Frieden, und Wenzel spottet über die neuen Zeiten, weil er die alten Lieder aus der DDR noch immer singen kann – und sie stimmen noch immer. Und er macht auch ganz einfach Flachwitze, wenn er verkündet, dass heute auch die Kalender umgschrieben werden: Es heißt nicht mehr Januar, Februar, März, sondern Januar, Februar, Dreckskerl... Er sagt, ihm fehle ganz einfach der Humor: „Wir sind ein dermaßen verbiestertes, moralisch abgesättigtes Volk geworden, dass man manchmal Angst kriegt, einen anarchistischen Witz abzulassen.“

Vor lauter Pragmatismus das Träumen vergessen

Und dann sagt er: „Am schlimmsten ist, dass wir uns das Träumen abgewöhnt haben.“ Als er vor mehr als 60 Jahren in der zweiten Klasse zeichnen sollte, wie er sich die Zukunft vorstellt, malte er ein helles Bild. „Die Zukunft war etwas Verheißungsvolles. Wenn wir uns heute vorstellen sollen, wie wir uns die Zukunft denken, dann hoffen wir, dass es nicht ganz so schlimm wird, wie es aussieht in unserer ramponierten Gegenwart. Weil wir uns vor lauter Pragmatismus nicht mehr trauen, das Unmögliche zu träumen. Aber wenn wir es nicht träumen, gibt es diese Gedanken nicht in der Welt.“

Wenzel spielt mit dem legendären Akkordeon-Spieler Tobias Morgenstern, er singt auch mit der Tochter des legendären US-Songschreibers Woody Guthrie. Der bekannte Schriftsteller Christoph Hein hält nicht nur eine Lobesrede auf Wenzel, sondern der 81-jährige, der definitiv kein Sänger ist, singt sogar mit ihm und rührt das Publikum. Auch Wenzels alter Weggefährte aus DDR-Zeiten Steffen Mensching kommt auf die Bühne, und sie zelebrieren eine ihrer wunderbar verqueren Dialog-Szenen.

Absurdes Theater, schlaue Gedanken, ausgelassene Musik. Das ganze Spektrum fächern sie auf. Die Bühne wird voller und voller. Zu Bestzeiten sind mehr als ein Dutzend Musiker dort oben. Die schönsten Geschenke kann man sich nur selbst machen. Und dieser Mann, der sagt, dass er 500 Lieder geschrieben habe, macht an diesem Abend ein schönes Geschenk an sich selbst und an sein treues Publikum.

Der Abend ist lang, und zwischen den Liedern werden es immer weniger Worte. Am Ende ist alles Musik. Natürlich hat Wenzel nicht umsonst einen Song mit dem Refrain „Das ist die Zeit der Irren und Idioten“ als musikalisches Finale ausgewählt. Ein Song, der in seinem inhaltlichen Kern wohl auf jede Zeit passt, aber auf die aktuelle Zeit der Kriege und Krisen und des sinnlosen Sterbens und Leidens nun mal ganz besonders.

Außerdem steigert sich die ganze Besatzung dieses Rockblues-Dampfers auf der Bühne in eine solche wilde und ausgelassene Spielfreude, dass es definitiv nicht der Höhepunkt eines Liedermacherabends wird, sondern: Da oben wird ein ordentliches Rockbrett abgeliefert.

Aber Wenzel wäre nicht Wenzel, wenn er anschließend nicht noch ein paar melancholische Worte zum Abschied nachschieben würde. Dem völlig euphorisierten Publikum teilt er mit, dass er den Auftrag bekommen habe, sie nicht so positiv aufgeladen in die Nacht zu entlassen, deshalb müsse er ihnen mitteilen, dass die EU-Kommission ein Sparprogramm aufgelegt habe, mit der Maßgabe, dass jedes Land statt vier nur noch zwei Jahreszeiten abbekommen, um so die Hälfte zu sparen. Und Deutschland bekomme den Herbst und den Winter. „Das entspricht unserem Temperament“, sagt er und kündigt seinem beseelten Publikum ein Herbstlied mit den Worten an: „Wer jetzt noch keine Wärmepumpe hat, der baut sich keine mehr.“.
https://www.berliner-zeitung.de/mensch- ... 54025417-1

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